Dreiländermord
Verärgert legte er die Unterlagen auf den Schreibtisch und versuchte,
seine neuen Informationen mit den bereits bekannten zu verknüpfen. Gab es überhaupt
eine Verbindung? Ein Detail war ihm, eher zufällig, zuvor aufgefallen. Was war es
bloß gewesen?
Er sammelte sich. Was hatte er vorliegen? Ein paar Tote, darunter ein
vermeintlicher Selbstmörder und ein mögliches Unfallopfer, eine Tote im Euskirchener
Land. Und sonst? Sonst hatte er nichts an Fakten. Und dennoch. Böhnke notierte seine
Daten, bis ihm endlich das Ungewöhnliche, das Merkwürdige, das wahrscheinlich Zufällige
nahezu ins Auge sprang: Der ermordete Homosexuelle aus Roermond war an einem Freitag
verschwunden. Der Lebensmittelhändler aus dem Dürener Musikerviertel starb in der
darauffolgenden Nacht, die von Samstag auf Sonntag. Zwei ermordete Homosexuelle
an zwei aufeinanderfolgenden Tagen. Böhnke hätte gewiss nicht von einem Zufall gesprochen,
wenn beide Männer im gleichen räumlichen Umfeld oder unter ähnlichen Umständen ermordet
worden wären. Aber in diesen beiden Fällen waren die Tatorte im limburgischen Maasrevier
beziehungsweise im rheinischen Düren ebenso weit voneinander entfernt wie die Tatumstände
sich unterschieden. Da gab es zum einen das Ertrinken in der Maas, das andere Mal
das Killerkommando.
Eifrig blätterte Böhnke durch Gefferts Unterlagen. Mit dem Lebensmittelhändler
hatte sich der Journalist sehr intensiv beschäftigt; wahrscheinlich auch deshalb,
weil der Ermordete ihn vor ein paar Jahren als Strichjunge ausgehalten und bezahlt
hatte. Das war in Frankfurt gewesen, demzufolge noch weiter weg von dem Mord in
Roermond. Geffert hatte viele Telefonate im Bereich Düsseldorf und Frankfurt geführt.
In diesen Städten hatte der Lebensmittelhändler wahrscheinlich in den einschlägigen
Kneipen verkehrt. In der Mainmetropole hatte er sogar ein kleines Appartement gemietet,
eine ›Liebeshöhle‹, wie Geffert notiert hatte. Als Randnotiz war auf einem Zettel
vermerkt: ›Gedungene Killer aus Frankfurt?‹
Könnte sein, überlegte Böhnke, der damit vor der Frage stand, die sich
alle stellten: Wer hat die Killer auf den Lebensmittelhändler gehetzt und warum?
An dieser Frage war in den Wochen nach dem Mord schon Küpper verzweifelt. Wie soll
ich heute eine Lösung finden für ein Rätsel, das vor Jahren aufgestellt wurde, fragte
sich Böhnke, als er müde den Ordner schloss.
Es war spät geworden. Er hatte seine Tabletten vergessen und seinen
Hunger unterdrückt. So wirst du nicht alt, Alter, bemängelte er sich. Schnell holte
er das Versäumte nach, und ließ sich anschließend ins Bett fallen. Dank seiner eigenen
Entspannungsmethode fiel er rasch in den Schlaf, ohne weiter an das Schicksal von
Geffert oder den morgigen Tag zu denken. Er hatte, wie er es gelernt hatte, seine
Gedanken auf ein ihn angenehmes Thema gelenkt und amüsierte sich über einen Satz,
den er letztens in einer übersetzten Gebrauchsanweisung aus Korea gelesen hatte:
›Tust Du in Milch und musst trinken. Dann nicht richtig. Musst trockenes Wasser
nehmen. Dann schlafen.‹
Es hatte sich um ein frei verkäufliches, angeblich schlafförderndes
Mittel gehandelt, das mit Leitungswasser eingenommen werden sollte.
8.
Auf die Minute genau traf Sümmerling in Huppenbroich ein. Die Pünktlichkeit
sei eben die Höflichkeit des Journalisten, kommentierte er Böhnkes erstaunte Bemerkung.
Der Pensionär hatte nicht mit dieser Termintreue von Sümmerling gerechnet.
Er hatte sein Tagwerk langsam begonnen, war nach einer erstaunlich ruhigen, durchgeschlafenen
Nacht später als üblich aufgestanden, hatte in aller Ruhe gefrühstückt und danach
einen Spaziergang durch den Ort gemacht, bei dem er seine Gedanken sortierte. Das
Umlegen des Schalters in seinem Kopf gelang nach wie vor. Die während der Dienstzeit
antrainierte Eigenschaft, mit dem Verlassen des Büros in Richtung Feierabend alle
Gedanken an die Arbeit zu verdrängen, hatte er sich auch im aufgezwungenen Ruhestand
bewahrt. Allerdings fiel es ihm inzwischen schwerer, wieder auf die Ermittlungsarbeit
umzuschalten.
Er stellte sich die Frage, während er durch die kleine Grünanlage mit
dem von Entengrütze überwucherten Löschwasserteich ging, die für ihn die entscheidende
war: War der Journalist getötet worden und stand der Mord im Zusammenhang mit dessen
Recherche? Antworten konnte Böhnke sich keine geben. Dazu war es noch zu früh beim
derzeitigen Stand seiner dürftigen Ermittlungen. Wenn es
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