Dreiländermord
einen
Autounfall verschuldet, weshalb sie angezeigt worden war und Schadenersatz zahlen
sollte.
»Das ist ihr alles zu viel geworden. Sie hat sich
von ihren letzten Kröten einen Flugschein nach Mallorca gekauft. Ich habe sie noch
zum Flughafen nach Düsseldorf gebracht.« Der Rentner zündete an der Glut der abgebrannten
Zigarette die nächste Filterlose an. »Wir haben ja beide nicht gedacht, dass wir
uns nicht mehr wiedersehen würden.« Schabulsky winkte enttäuscht ab. »Es ist jammerschade.
Dabei hatte es so gut angefangen. Susanne hatte uns eine Ansichtskarte aus Mallorca
geschrieben. Es ginge ihr gut, sie hätte Arbeit in einer Kneipe gefunden. Wir sollten
sie besuchen kommen. Sie würde für uns sparen.« Beim Versuch, die Asche im überquellenden
Aschenbecher abzustreifen, fiel die Glut auf den schmutzigen Teppich unter dem Tisch,
was Schabulsky keineswegs störte. »Zwei Monate später schrieb Susanne uns eine Karte
aus Ibiza«, fuhr er fort. »Sie ist dahin gewechselt. Dort sei es schöner und toller.
Sie hatte eine Anstellung in einer Diskothek.« Schabulsky hob kraftlos die Arme.
»Das war’s. Danach war erst mal Funkstille.«
»Wann haben Sie denn das letzte Mal etwas von Ihrer Tochter gehört?«
Böhnke räusperte sich. »Entschuldigung. Wann hat Susanne die letzte Karte an Sie
geschrieben?«
»Kann ich Ihnen auf Anhieb sagen. Das ist jetzt
acht Jahre her.«
Acht Jahre. Ibiza, dachte Böhnke und ihm fiel
eine zeitliche Parallele ein: Vor etwas weniger als acht Jahren hatte der belgische
Pastor sein Ferienhaus auf Ibiza verkauft. Wahrscheinlich ein reiner Zufall. Oder
doch eher eine Zufälligkeit als ein Zusammenhang. Wie viele Leute hatten vor acht
Jahren Immobilien auf Ibiza verkauft und wie viele Mädchen hatten vor ebenso langer
Zeit Ansichtskarten von den Balearen verschickt?
»Und seitdem haben Sie kein einziges Lebenszeichen
mehr von ihr erhalten?«, hörte sich Böhnke fragen. Er erschrak über seine eigene
Dreistigkeit und Wortwahl.
Schabulsky überhörte die mögliche Despektierlichkeit. »Wenn Sie mich
fragen, was ich ganz ehrlich meine, dann sage ich Ihnen, dass meine Tochter nicht
mehr lebt«, entgegnete der Rentner sachlich und ohne Gefühlsregung. »Man sagt zwar
immer, die Hoffnung stirbt zuletzt, aber meine Hoffnung besteht nur noch darin,
dass ich Susanne und Therese da oben wiedersehe.«
Seinen Wink gen Himmel verstand Böhnke richtig. Der Mann erwartete
vom Leben nichts mehr außer den Tod.
»Da brauche ich gar nicht mehr anderswo nach Susanne zu fragen«, sagte
Böhnke, als er sich von Schabulsky an der Haustür verabschiedete.
»Ich habe alle ihre Freundinnen und Freunde jahrelang nach ihr gefragt.
Sie wissen alle nichts. Die haben nicht einmal Post von Susanne bekommen. Und ihre
beste Freundin Angelika war ja schon tot, als meine Tochter aus Übach abhaute.«
Bevor Böhnke fragen konnte, hatte ihm Schabulsky längst geantwortet.
»Wenn Sie wissen wollen, wo und wann sich die beiden mit wem verabredet haben, bevor
Angelika verschwunden ist, da muss ich passen. Ich habe mich nie dafür interessiert.«
Er reichte Böhnke die Hand zu einem schlaffen Händedruck. »Leben Sie wohl. Und wenn
Sie wollen, noch lange.«
Als er nach der Rückfahrt aus dem Wurmtal in Huppenbroich sein Handy
einschaltete, stellte er fest, dass zwischenzeitlich ein Anruf eingegangen war.
Megrette hatte ihn sprechen wollen. Böhnke rief zurück, wurde allerdings ein weiteres
Mal vertröstet.
»Geschieht dir recht«, kommentierte seine Apothekerin am Abend.
»Jetzt ist Schluss mit deinem Räuber-und-Gendarm-Spiel, jetzt geht’s
ins Theater!«
Böhnke stöhnte. Er hatte glatt vergessen, dass heute im Rahmen ihres
Theaterabonnements in Aachen ein Schauspiel auf dem Programm stand.
»Was muss ich mir denn antun?«, fragte er genervt, als sie losfuhren.
»Schillers ›Räuber‹, du Gendarm«, antwortete sie lachend.
14.
Es gab ihm zu denken, dass seine Partnerin seine Tätigkeit wie ein
kindliches Spiel abtat. Räuber und Gendarm, da gab es Böse, da gab es Gute, doch
bei dem Geschehen, in dessen Mitte er sich gerade befand, gab es weder Böse noch
Gute, wenn er einmal davon absah, dass irgendjemand ihn attackiert hatte, von dem
er nicht wusste, ob er überhaupt zu diesem Spiel gehörte. Oder waren eventuell die
Guten die Bösen? Wer war wer? Dass seine Recherchen für eine unbekannte Person Konsequenzen
bedeuteten, hatte ihm der Anschlag auf sein Leben bewiesen, unabhängig davon,
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