Dreiländermord
ob
Gefferts Schicksal und das der anderen Verstorbenen einen kriminellen Hintergrund
hatte oder nicht. Warum sonst hätte jemand seinen Reifen anschlitzen sollen? Jemand
wollte ihn aus der Schar der Spieler ausschließen. Böhnke konnte sich nicht vorstellen,
dass ihn ein Krimineller aus Rache schädigen wollte, weil er ihm zu mehrjähriger
Knastluft verholfen hatte. Der Anschlag hatte etwas mit seinen jetzigen Untersuchungen
zu tun, da war sich der Pensionär fast sicher; zumindest würde er diese Annahme
unterstellen.
»Das könnte durchaus sein«, bestätigte Megrette, der sich endlich telefonisch
bei ihm gemeldet hatte. »Wir haben den Reifen erneut gründlich untersucht und besitzen
eindeutige Hinweise, dass es jemand ernst gemeint hat. Man wollte Ihnen ans Leder,
Herr Böhnke.« Er meinte auch zu wissen, warum. »Glauben ist es nicht, eher eine
Vermutung«, sagte Megrette. Beweise habe er keine, jedoch vielleicht Indizien, die
Böhnke möglicherweise bekräftigen könnte.
»Und wie?«, erkundigte sich Böhnke gespannt.
»Weiß ich noch nicht. Allerdings möchte ich Sie bitten, sämtliche Unterlagen
dabeizuhaben, wenn ich Sie abholen komme.«
Musste er Megrette verstehen? Böhnke entschied sich, ungefragt mitzuspielen.
»Warum wollen Sie mich abholen und wohin soll unsere Reise gehen?«
Megrette gab sich vergnügt. »Na, wir müssen uns doch in Kelmis umschauen.
Nein, Sie sollen sich dort umschauen, ich war ja schon da. Und anschließend können
wir uns austauschen. Einverstanden?« Er wolle, dass Böhnke unvoreingenommen die
Wohnung des Pastors untersuche. »Ich bin wahrscheinlich zu persönlich betroffen.
Sie erkennen möglicherweise Dinge, die ich übersehen habe, weil Sie objektiver zu
Werke gehen.«
Oder rücksichtsloser, überlegte Böhnke. Er war nicht an dem Personengeflecht
in Kelmis beteiligt, in das der belgische Kommissar offensichtlich verwickelt war.
»Ein Versuch schadet keinesfalls«, bestätigte er. »Ich warte auf Sie.«
»Dann nehmen Sie sich bitte sonst nichts vor an diesem Tag, Herr Böhnke«,
bat Megrette. »Ich habe nach der Überprüfung der Wohnung eine Überraschung für Sie
vorbereitet.«
»Hoffentlich eine angenehme«, entfuhr es Böhnke. »Von schlechten Überraschungen
habe ich genug.« Aber er würde auch diesen Teil des Spiels mitmachen.
»Noch etwas.« Er wollte eine letzte Frage loswerden. »Warum haben Sie
oder Ihre Kollegen mir nicht sofort gesagt, dass jemand ein Attentat auf mich ausgeübt
hat?«
»Hätte es Ihnen genützt?«, fragte Megrette zurück.
»Ihre Ärzte und insbesondere Ihre außerordentlich charmante Partnerin
haben mich gedrängt, darüber zu schweigen und die Unfallthese im Raum stehen zu
lassen. Die haben befürchtet, dass Ihnen das Wissen um ein Attentat den Todesstoß
versetzt hätte. Ihr Zustand muss verdammt kritisch gewesen sein. Eine kleine Aufregung
zusätzlich und Sie weilten eventuell nicht mehr unter uns. Seien Sie froh, dass
die Ärzte und Ihre Partnerin Sie für ein paar Tage auf Eis gelegt haben.« Megrette
verstummte. Im Hintergrund klingelte ein zweites Telefon.
»Ich muss leider Schluss machen. Ich hole Sie am Montag in Huppenbroich
ab.« Seine letzte Bemerkung hätte er sich nach Böhnkes Empfinden verkneifen können.
»Das ist sicherer für Sie und sicherer für mich, denn so kommen wir wenigstens garantiert
zusammen.«
Böhnke war gespannt, was ihn in Kelmis und danach erwarten würde. Er
hatte sich zum wiederholten Male den Aktenordner als Lektüre mit in den Garten genommen
und blätterte durch die Ausdrucke, Notizzettel und den Terminkalender von Geffert.
Wenigstens den einen zusammenhängenden Punkt hatte er: Geffert hatte sich am Tag
seines Todes mit dem Priester am Soldatenfriedhof im Hürtgenwald treffen wollen,
und am Tag darauf hatte sich der Geistliche umgebracht.
Immer wieder blickte Böhnke über die Zettel und
in den Terminkalender, er fand jedoch keine Auffälligkeit. Vielleicht sollte er
es einfach auf gut Glück mit dem Wählen einzelner Telefonnummern versuchen. Aber
das war wahrscheinlich so wirkungsvoll wie das Angeln ohne Wurm. Wenn mich der Tag
in Belgien nicht weiterbringt, stelle ich meine Arbeit ein, beschloss er für sich.
Somit könnte er endlich wieder Gebrauchsanweisungen übersetzen.
Eine Telefonnummer in Gefferts Aufzeichnungen
kam ihm merkwürdig bekannt vor und noch merkwürdiger erschien es ihm, als diese
Nummer im Display seines Handys auftauchte, das in diesem Moment bimmelnd auf
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