Dreiländermord
die Augen schließen, für ewig schlafen, seine Ruhe haben.
Rennickens war hinter ihm hergesprungen. »Weiter!« Er griff brutal
nach Böhnkes Ohren und zog ihn daran hoch.
Die rasenden Schmerzen zwangen Böhnke zum Aufstehen, willenlos ließ
er geschehen, was Rennickens mit ihm machte. Doch kaum hatte er wieder festen Boden
unter den Füßen, schubste ihn Rennickens erneut. Wieder taumelte Böhnke, fiel rückwärts
ins Tal, rollte über den Boden und durch das Strauchwerk, bis er in der Talsohle
im Bachbett liegen blieb. Er spürte die Nässe, die sich durch die Hosenbeine fraß.
»Sie liegen falsch«, hörte er Rennickens’ zynische Stimme. »Ihr Kopf
gehört unter Wasser.« Er packte den Wehrlosen, drehte ihn mit dem Gesicht zu dem
gerade einmal handhohen Wasserlauf.
»Man kann auch in einer Pfütze ertrinken«, vernahm Böhnke die unbarmherzige
Stimme seines Peinigers, während er auf das langsam fließende Gewässer wenige Zentimeter
vor seinen Augen stierte.
Warum? Warum musste er auf diese Weise sterben? Er spürte Rennickens’
schmerzhaften Griff an seinem Hinterkopf.
Rennickens drückte ihn zu Boden. Böhnke konnte sich nicht wehren. Sein
Gesicht durchbrach die Wasserfläche, er spürte die nasse Kälte, sein Puls jagte.
»Das war’s!«, hörte er und danach einen einzelnen Schuss. Der feste
Druck auf seinen Hinterkopf ließ nach.
Böhnke blickte auf, bekam wieder Luft und spürte Hände, die sich unter
seinen Körper schoben.
»Böhnke, da hast du verdammt viel Schwein gehabt«, tönte eine ihm bestens
vertraute, tiefe Stimme. Es war Küpper, der ihn zur Seite zog.
»Was ist? Was machst du hier?«, fragte er heftig keuchend.
»Sei still«, entgegnete Küpper streng. »Du musst
zur Untersuchung ins Krankenhaus und der Kerl in den Leichensack.« Er griff zu seinem
Handy. »Mist«, fluchte er nach einer kurzen Inspektion des Geräts, »hier ist ein
Funkloch. Du musst zur Straße. Mach dich langsam auf den Weg, wenn du wieder Kraft
hast.«
Böhnke nickte. Er hatte sich auf den schrägen,
feuchten Boden gelegt.
»Halte durch«, sagte der Bernhardiner. »Ich bin
gleich wieder da, wenn ich wieder Netz habe. Ich beeil mich.«
Nur langsam wich die Atemlosigkeit und das Herzrasen
ließ nach. Böhnke betrachtete in einer Mischung aus Abscheu und Interesse den Toten.
Küpper hatte den Kripochef mit einem Schuss aus nächster Nähe in den Hinterkopf
getötet. Der Bernhardiner musste ihnen gefolgt sein und sich lautlos herangeschlichen
haben. War er glücklicherweise rechtzeitig auf sie gestoßen oder hatte er die Entwicklung
abgewartet? Böhnke wollte sich keine Antwort auf diese Frage geben. Außerdem gab
es wichtigere Dinge als das aktuelle Verhalten von Küpper.
War der Kopfschuss erforderlich gewesen? Obwohl
es ihm beinahe selbst an den Kragen gegangen wäre, machte sich Böhnke Gedanken über
die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Dann schüttelte er sich und konzentrierte sich
auf die Leiche, die neben ihm lag. Der Kopf war zur Seite gedreht, Rennickens’ Gesicht
war ausdrucklos und zeigte keine Spur von Verwunderung oder Entsetzen. Nichts davon,
es war einfach nur ohne Ausdruck.
Böhnke tastete Rennickens’ Jacke ab und stieß auf
eine gefüllte Innentasche. Gleich zwei Handys zog er heraus, das silberne, mit dem
er bei ihm telefoniert hatte, und ein zweites, aufklappbares, vom gleichen Fabrikat
wie sein eigenes. Er steckte dieses schwarze Gerät ein. Beide Handys mitzunehmen,
schien ihm zu gewagt. Das silberne war bestimmt sein Diensthandy. Man würde bei
einer Durchsuchung der Leiche fragen, wo es geblieben war, wenn es fehlte. Also
entschied Böhnke für sich, nur das andere einzustecken. Vielleicht konnte es ihm
Hinweise auf die Gnadenlosen geben oder er fand ein privates Verzeichnis von Telefonnummern,
das Verbindungen und Querverweise mit den anderen, toten Männern erkennen ließ.
Warum sollte er sich an Recht und Ordnung halten,
wenn es seine Freunde und Feinde auch nicht taten, redete er sich ein. »Ich bin
ein alter, schwacher Mann und habe deshalb Privilegien.« Und wenn sie nur darin
bestanden, einem Toten ein Handy abzunehmen.
Mühsam rappelte er sich auf und schaute nach oben, dorthin, wo er die
Straße finden würde, auf der bald Rettungswagen und Polizeifahrzeuge die Wege versperrten.
Schneller, als Böhnke es erwartet hatte, kehrte Küpper zurück. »Wir
gehen zur Straße«, schlug der Bernhardiner noch einmal vor. »Da kommt gleich der
Rettungswagen.«
Gehen war
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