Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
später. Es folgte das langsame Knarren eines inneren Räderwerks, und als Max an der schweren Stahltür zog, schwang sie leicht und lautlos auf. Der Lichtkegel der Taschenlampe glitt über Fächer mit Schachteln aus festem Karton und Mappen. In den Kartons war etwas Schmuck und Geld, und die Mappen enthielten Schriftstücke. Er widmete sich den Schriftstücken. Barbaresco und Tignanellohatten ihm Schreiben mit dem offiziellen Briefkopf des italienischen Außenministers gezeigt, damit er wusste, wonach er suchen sollte. Relativ bald wurde er fündig: drei maschinengeschriebene Briefe in Aktenhüllen, versehen mit Datum und Archivnummer. Er leuchtete auf die amtlichen Siegel, die Texte und Unterschriften sowie den darunter getippten Namen G. Ciano . Es waren zweifelsohne die fraglichen Briefe. Adressiert an Tomás Ferriol am 20. Juli sowie am 1. und 14. August 1936.
Er steckte die Papiere ein und legte die Mappe an ihren Platz zurück. Barbaresco und Tignanello hatten ihn gebeten, alles möglichst so zu lassen, wie es war, damit die Ferriols den Diebstahl nicht sofort bemerkten. Max hatte sich sogar die Zählerpositionen notiert, bevor er den Tresor öffnete, damit er sie nach dem Schließen wieder genau so einstellen konnte. Doch wenn er mit der Taschenlampe durchs Zimmer leuchtete, das aufgestemmte Fenster, die Wasserflecken und Matschspuren überall, musste er einsehen, dass es unmöglich sein würde, diesen Einbruch zu kaschieren. Es hätte Stunden gedauert, alles sauberzumachen, außerdem wusste er gar nicht womit. Und überhaupt drängte die Zeit. Susana Ferriol würde sich bestimmt bald von ihren Gastgebern in Cimiez verabschieden.
Die Kartons enthielten nichts Besonderes. In einem lagen dreißigtausend Francs und ein dickes Bündel Banknoten der spanischen Republik, die im Gegensatz zu denen der nationalen Zone stetig an Wert verloren. Für ihren Schmuck, vermutete Max nach Sichtung der wenigen Stücke, hatte Susana Ferriol wohl noch einen weiteren Safe im Schlafzimmer, denn hier fanden sich nur ein aufklappbares goldenes Medaillon, eine Savonette-Taschenuhr von Losada und eine Krawattenklammer mit einer großen Perle. Dazu noch ein Kästchen mit fünfzig Pfund Sterling in Goldmünzen und einer antiken Anstecknadel in Form einer Libelle mit Smaragden, Rubinenund Saphiren. Max besah sich noch einmal die Spuren, die er in dem Zimmer hinterlassen hatte. Nachdem er nun schon so viel Dreck gemacht hatte, war alles andere eigentlich auch egal, dachte er. Die Brosche und die Münzen waren gefährliche Ware, leicht zu identifizieren, wenn die Polizei sie bei ihm finden sollte. Aber Geld war einfach Geld. Dessen Spur verlor sich, sobald es von Hand zu Hand ging: Es hatte keine Identität und keinen Besitzer außer dem, der es in der Tasche trug. Bevor er also den Safe schloss, seine Fingerabdrücke mit einem Taschentuch entfernte und das Werkzeug zusammenpackte, nahm er sich die dreißigtausend Francs.
Der Himmel starrt vor Sternen. Der nächtliche Blick über Sorrent und die Bucht ist wundervoll von der Terrasse des Appartementhauses, doch Max hat kein Auge für die Schönheit des Panoramas. Erschöpft nach der Kletterpartie liegt er auf dem Dach und versucht, wieder zu Atem zu kommen. Hinter den Gebäuden des Hotels Vittoria mit seinen erleuchteten Fenstern ist das Meer eine riesige dunkle Fläche, gesäumt von winzigen hellen Punkten, die bis zu dem fernen Lichtschein Neapels reichen.
Nachdem er sich ein wenig erholt hat und sein Herz nicht mehr ganz so wild schlägt – an diesem Abend beglückwünscht er sich ausgiebig, vor elf Jahren das Rauchen aufgegeben zu haben –, setzt er seinen Weg fort. Er nimmt den Rucksack ab, holt das Kletterseil heraus, das alle fünfzig Zentimeter einen Knoten hat, und hält Ausschau nach etwas, wo er es befestigen kann. Schließlich bindet er es mit einem Bulinknoten um den Zementsockel des Blitzableiters und schlingt es zur Sicherheit noch einmal um das Metallrohr eines Schornsteins. Dann hängt er den Rucksack wieder über die Schultern, zählt sechs Schritte zur Linken, streckt sich wieder flach auf dem Dach aus, wobei er sich mit einerHand am Seil festhält, und späht nach unten. Sechs oder sieben Meter lotrecht unter ihm liegt das unbeleuchtete Zimmer des russischen Schachmeisters. Max verhält sich ganz still und blickt in den dunklen Abgrund, der sich unter dem Balkon auftut, ihn überkommt eine leichte Panik und sein Puls beginnt wieder zu rasen. Mit dieser Art von
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