Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
verschiedenen Fächer beschäftigt ist, kaum Beachtung. Die Halle und die Treppe zum Garten sind menschenleer, weil alle gespannt die Partie verfolgen, die im Salon des Hotels zwischen Keller und Sokolow ausgetragen wird. Draußen kommt Max an einem Kleinbus der RAI vorbei, erreicht den Park und schlendert locker den Weg entlang, der zum äußeren Gittertor und hinaus auf die Piazza Tasso führt. Etwa auf halber Strecke, als er die Lichter des Straßenverkehrs und der Laternen auf dem Platz erkennen kann, schlägt er sich seitlich ins Gebüsch und sucht den Pavillon, von dem aus er vorgestern die Appartements der russischen Delegation ausgespäht hat. Das Gebäude ist fast vollkommen dunkel. Nur die Lampe über dem Haupteingang brennt, und ein Fenster im zweiten Stock ist erleuchtet.
Sein Herz schlägt heftig. Es hämmert, als habe er zehn Tassen Kaffee getrunken. Tatsächlich hat er, in der Überzeugung, dass ihm etwas zusätzliche Energie und Klarsicht durchaus zustattenkommen könnten, vor zwei Stunden zwei Amphetamintabletten geschluckt, die er – ohne Rezept, aber mit einem entsprechend seriösen Lächeln – in einer Apotheke auf dem Corso Italia erstanden hat. Dennoch kämpft er, während er tief durchatmet und sich ganz still verhält, um seinen Herzschlag zu beschwichtigen, mit der Dunkelheit ringsum, mit der Herausforderung, die ihn erwartet, mit dem Alter, das die Bronchien verengt und die Arterien verkalkt, und einer Mutlosigkeit, die an Verzagtheit grenzt. Einer Unsicherheit, die man fast schon Furcht nennen kann. Plötzlich scheint ihm das ganze Vorhaben absoluter Wahnsinn zu sein. Ich muss mich entscheiden, denkt er. Vor oder zurück. Denn übermäßig viel Zeit habe ichnicht. Mit einem Seufzer öffnet er den Reißverschluss der Tasche und holt den Rucksack heraus. Er tauscht die Straßenschuhe gegen die schwarzgefärbten Sportschuhe, zieht das Jackett aus und stopft es zu den Schuhen in die Tasche, die er im Gebüsch versteckt. Er ist jetzt vollkommen schwarz gekleidet und kaschiert den hellen Fleck seiner grauen Haare mit einem dunklen Seidentuch. Um die Taille legt er sich eine Seilschlinge mit einem stählernen Karabinerhaken, damit er während des Aufstiegs gesichert ist, falls ihn die Kräfte verlassen. Ich muss ziemlich albern aussehen, denkt er. In meinem Alter noch den großen cambrioleur spielen zu wollen. Du lieber Gott. Wenn mich Doktor Hugentobler jetzt sehen könnte: seinen hochgeschätzten Chauffeur als Fassadenkletterer. Schließlich setzt er den Rucksack auf, blickt sich nach allen Seiten um, verlässt den Pavillon und nähert sich dem Haus, wobei er sich im Schatten der Pinien und Zitronenbäume hält. Als er von den Scheinwerfern eines Autos angestrahlt wird, das durch den Garten auf das Haus zufährt, duckt er sich rasch ins Gebüsch. Bald liegt alles wieder im Dunkeln, sein Atem hat sich beruhigt, er kommt aus seinem Versteck und steht kurz darauf vor dem Gebäude. Am Fuß der Mauer ist es stockfinster. Tastend sucht er nach der ersten Stufe. Als er sie gefunden hat, steigt er darauf, vergewissert sich, dass sein Rucksack gut sitzt, und drückt sich nach oben. Ganz langsam, mit kurzen Pausen auf jedem Tritt, erklimmt er Sprosse um Sprosse die Wand bis zum Dach.
Der Safe in Nizza – ein großer braunlackierter Schützling – war genau so, wie Enrico Fossataro ihn beschrieben hatte. Er befand sich in einem in die Wand des Arbeitszimmers eingelassenen Mahagonischrank, inmitten von Bücherregalen, Aktenordnern und Mappen. Er sah beeindruckend aus:eine glatte Abdeckplatte ohne sichtbare Schlösser oder Drehknöpfe. Max begutachtete ihn einen Moment im Schein der Taschenlampe. Auf dem Boden vor dem Safe lag ein dicker orientalisch gemusterter Teppich, der die Schlüsselgeräusche etwas dämpfen würde, wenn er sie einen nach dem anderen ausprobieren musste. Er leuchtete auf seine Armbanduhr und überschlug die Zeit. Es war eine langwierige Arbeit, die Fingerspitzengefühl und viel Geduld erforderte. Dann lenkte er den Lichtstrahl auf seine nassen Fußabdrücke, die vom Fenster – das er mit einem Schraubenzieher aufgehebelt und danach wieder geschlossen hatte – über das Parkett und den Teppich führten. So viel Schmutz war ein unvorhergesehenes Missgeschick, doch zum Glück gehörte das Fenster zum selben Zimmer, sodass sich alles, einschließlich der Schlammspuren, auf diesen einen Raum beschränkte. Solange die Tür zur Bibliothek geschlossen blieb, sollte es keine Probleme
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