Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
sportlicher Betätigung ist es einfach vorbei, denkt er, jedenfalls für mich. Als ich mich das letzte Mal in einer ähnlichen Lage befunden habe, war ich fünfzehn Jahre jünger. Nach einer Weile holt er tief Luft und packt das Seil. Als er sich über die Dachkante schiebt, schrammt er sich Knie und Ellbogen auf, und dann lässt er sich ganz langsam, Knoten für Knoten, hinab.
Trotz seiner Bedenken – dauernd fürchtet er, dass ihm die Hände abrutschen oder ein Schwindelanfall die Sinne verwirrt – ist der Abstieg leichter als gedacht. Wenig später hat er den Balkon erreicht, fühlt festen Boden unter den Füßen und untersucht die verglaste Tür. Mit etwas Glück ist sie ja offen, denkt er, während er dünne Latexhandschuhe überstreift. Aber das ist nicht der Fall. Also greift er nach einem Glasschneider mit Diamantspitze, der ihm bei anderen Gelegenheiten schon gute Dienste erwiesen hat. Er befestigt einen Gummisauger an dem Stück Scheibe, das er heraustrennen will, und zeichnet einen Halbkreis von etwa handbreitem Durchmesser um die Stelle, wo innen der Türriegel ist. Dann klopft er sacht dagegen, langt hinein, wobei er aufpasst, sich nicht zu schneiden, und klappt den Riegel hoch. Die Tür öffnet sich ohne Schwierigkeiten und gibt den Weg ins Innere des dunklen Zimmers frei.
Von jetzt an bewegt Max sich schnell und methodisch. Zu seinem Erstaunen schlägt sein Herz gleichmäßig und ruhig, vielleicht weil die körperliche Verfassung in dieser Phase der Operation nicht ausschlaggebend ist und er mit den gewohnten Handgriffen auch die alte Kraft und Gelassenheit zurückgewinnt, was ihm noch vor einem Momentunvorstellbar erschien. Mit größter Vorsicht, um nirgendwo anzustoßen, nähert er sich dem Fenster, zieht die Gardinen vor und holt eine Taschenlampe aus dem Rucksack. Das Zimmer ist sehr geräumig, aber stickig, es riecht nach kaltem Rauch. Tatsächlich steht auf einem niedrigen Tisch ein überquellender Aschenbecher neben leeren Kaffeetassen und einem Schachbrett, auf dem die Figuren durcheinanderliegen. Max geht umher, und der Lichtstrahl streift über Sessel, Teppiche, Bilder und über eine Tür, die offenbar ins Schlafzimmer und ins Bad führt. Auch über einen Spiegel, in dem er seine eigene schwarzgekleidete Gestalt vorbeischleichen und innehalten sieht, als hätte das plötzliche Auftauchen des anderen sie erschreckt.
Max leuchtet vom Spiegel weg, als wollte er sich dort nicht sehen, und der dunkle Schemen verschwindet wieder in der Finsternis. Das Licht erfasst einen mit Büchern und Unterlagen bedeckten Schreibtisch. Max nähert sich und beginnt zu suchen.
Es war noch Nacht, und über Nizza regnete es unablässig weiter, als Max den Peugeot an der Jesuskirche parkte und in Regenmantel und Hut den Platz überquerte, wobei er gleichgültig durch die Pfützen stapfte. Nirgends war eine Menschenseele zu sehen. Um den Lichtkegel der Laterne an der Ecke der Rue de la Droite schien sich der Regen zu gelblichen Dunstschlieren zu verfestigen. Max ging zu der zweiten Tür, fand sie offen, durchschritt den überdachten Innenhof und ließ das Rauschen des Regens hinter sich zurück.
Im Vorraum war es dämmrig. Im schwachen Licht der trüben, nackten Glühbirne sah man kaum, wo man hintrat. Eine weitere glomm über dem oberen Treppenabsatz. Die Holzstufen knarrten unter seinen feuchten Schuhen, an denen noch der Schlamm seines kleinen Ausfluges klebte. Erwar schmutzig, durchnässt, erschöpft und hatte nur noch den Wunsch, das Ganze endlich hinter sich zu bringen. Die Beute abzuliefern, sich eine Weile aufs Ohr zu legen und dann seine Koffer zu packen und zu verschwinden. Und in aller Ruhe über seine Zukunft nachzudenken. Als er vor der Wohnungstür stand, knöpfte er den Mantel auf und schüttelte das Wasser vom Hut. Danach betätigte er die Drehklingel aus Messing und wartete, ohne dass etwas geschah. Leicht beunruhigt läutete er noch einmal und horchte. Nichts. Eigentlich müssten ihn die Italiener doch ungeduldig erwarten. Doch niemand öffnete.
»Schön, Sie zu sehen«, sagte eine Stimme hinter ihm.
Max fuhr so heftig zusammen, dass ihm der Hut aus der Hand fiel. Auf der Treppe zum zweiten Stock saß seelenruhig Fito Mostaza. Er trug einen dunklen Anzug mit Streifen und breitgepolsterten Schultern, um den Hals den gewohnten Querbinder. Er war ohne Mantel und ohne Hut.
»Auf Sie ist offenbar Verlass«, fügte er hinzu. »Ein Mann, der Wort hält.«
Er klang geistesabwesend, zerstreut, als
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