Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
geben. Vorsichtig vergewisserte er sich, dass sie auch versperrt war.
Eine halbe Minute lang stand er nur da und lauschte, bis das Pochen seines Pulsschlags in den Ohren nachließ und er deutlicher hören konnte. Das Prasseln des Regens mochte zwar die Geräusche übertönen, die er verursachen würde, wenn er sich an dem Tresor zu schaffen machte, aber es könnte auch verhindern, dass er rechtzeitig mitbekam, falls sich jemand dem Arbeitszimmer näherte. Das Risiko war um diese Zeit jedoch gering. Die Köchin und der Gärtner übernachteten nicht im Haus, die Gouvernante schlief im ersten Stock, und der Chauffeur saß am Steuer des Wagens in Cimiez und wartete auf Susana Ferriol. Nur das Dienstmädchen würde sich im Erdgeschoss aufhalten und bis zur Rückkehr der Hausherrin wachbleiben. Max’ Informationen zufolge pflegte sie in ihrem Zimmer neben der Küche Radio zu hören.
Er nahm den Hut ab und zog den Mantel aus, legte dieWerkzeugtasche auf den Boden und berührte den kalten Stahl des Tresors. Bei den Schützlings war der Öffnungsmechanismus hinter einer Leiste verborgen, die die Tür wie ein Rahmen umgab. Mit einem leichten Drücken gegen die richtige Stelle, verschob sich ein Teil dieses Rahmens und gab den Mechanismus frei: vier senkrecht untereinander angeordnete Schlösser, wobei es sich bei dem oberen um ein herkömmliches und bei den anderen drei um Zahlenkombinationsschlösser handelte. Zuerst musste Max die unteren drei aufbekommen, was einige Zeit dauern würde. Also machte er sich an die Arbeit. Er deponierte die Taschenlampe an einer geeigneten Stelle, nahm den Schlüsselbund und probierte denselben Schlüssel in allen drei Schlössern, um festzustellen, welches am besten klang, das heißt, am sensibelsten reagierte und die feinen Geräusche seiner versteckten Technik am deutlichsten übermittelte. Er fühlte sich unwohl in den nassen Hosen und Schuhen und zitterte leicht vor Kälte. Zudem dauerte es eine Weile, bis seine unterwegs von den Dornen zerstochenen Hände das nötige Feingefühl aufbrachten. Als er in jedem Zählwerk alle Positionen von 0 bis 19 durchgegangen war, entschied er sich für das unterste. Er arbeitete sich vor, indem er den Schlüssel langsam nach rechts und links drehte und diesen Vorgang mit den beiden anderen Schlössern wiederholte. Nachdem er auf diese Weise die Sektoren markiert hatte, in denen sich jeweils die richtige Position befinden musste, wandte er sich erneut dem ersten zu. Jetzt war äußerste Präzision vonnöten. Das gelegentliche Ungeschick seiner verletzten, noch immer blutenden Finger hielt ihn immer wieder auf, und er verfluchte sich dafür, nicht daran gedacht zu haben, auf dem Hinweg Handschuhe zu tragen. Es erforderte viel Zartgefühl, die schwachen Vibrationen wahrzunehmen. Als es ihm gelungen war, den ersten Zähler auf die korrekte Ziffer einzustellen, sah er wieder auf die Uhr. Vierundzwanzig Minuten für das schwierigste Schloss. Enrico Fossataro hätte ein Drittel dieser Zeit gebraucht, dennoch lief es besser, als er gedacht hatte. Mit zufriedenem Lächeln schüttelte er einen Moment lang die Hände aus, massierte die schmerzenden Fingerkuppen und steckte den Schlüssel ins zweite Schloss. Eine Viertelstunde später standen alle drei Zähler in der gewünschten Position. Er knipste die Taschenlampe aus und legte eine Ruhepause ein. Für zwei Minuten streckte er sich rücklings auf dem Teppich aus und lauschte in die Stille des Hauses. Dabei versuchte er an nichts anderes zu denken als an den Tresor, den er vor sich hatte. Draußen hatte der Regen nachgelassen, drinnen rührte sich nichts. Zu gern hätte er eine Zigarette geraucht, aber das würde er wohl aufschieben müssen. Seufzend stand er auf, rieb seine vor Klammheit und Kälte tauben Beine und machte sich wieder an die Arbeit.
Von nun an war es nur noch eine Frage der Geduld. Wenn Fossataro den richtigen Satz Schlüssel mitgebracht hatte, dann sollte man mit einem von den einhundertdreißig das Schloss über den drei Zählern öffnen können. Um diesen zu finden, musste Max zuerst alle aussortieren, die zur selben Gruppe gehörten, und dann jeden Einzelnen dieser Gruppe ausprobieren. Das bedeutete einen Zeitaufwand zwischen einer Minute und schätzungsweise einer Stunde. Max schaute noch einmal auf die Uhr. Wenn nichts Unvorgesehenes dazwischenkam, war es zu schaffen. Und so fing er an, Schlüssel ins Schloss zu schieben.
Das Schloss klickte bei Nummer 107, eine knappe halbe Stunde
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