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Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Titel: Dreimal im Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arturo Pérez-Reverte
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vor ihm sitzenden Zuschauers nicht die Sicht versperrt und er sie von schräg hinten sehen kann: die übliche leichte Strickjacke über den Schultern, das kurze graue Haar, das den schmalen Nacken freigibt, ihr noch immer schön gezeichnetes Profil, wenn sie sich dem dicken Mann zu ihrer Rechten zuwendet, um ihm etwas zuzuflüstern. Und auch diese gelassene und bestimmte Art, den Kopf zur Seite zu neigen, während sie aufmerksam die Partie verfolgt, auf die gleiche Weise – entsinnt sich Max wehmütig –, wie sie in der Vergangenheit andere Dinge und andere Spielzüge verfolgt hat, deren Komplexität der des Schachspiels, das hier vor seinen Augen ausgetragen wird, in nichts nachstand.
    »Hier ist es«, sagte Max Costa.
    Der Wagen, eine dunkelviolette Pierce-Arrow-Limousine mit dem Emblem des Automobilklubs auf dem Kühler, hielt am Ende einer langen Backsteinmauer, dreißig Schritte vom Bahnhof Barracas entfernt. Der Mond war noch nicht aufgegangen, und als der Chauffeur die Scheinwerfer ausschaltete, blieben nur die spärlichen Lichtflecken einer einsamen Straßenlaterne und einiger gelblicher Glühbirnen am Vordach des Gebäudes. Im Osten, über den Straßen, die zum linken Ufer und den Docks des Riachuelo führten, verlosch derletzte rötliche Schimmer im schwarzen Himmel über Buenos Aires.
    »Was für eine Gegend«, bemerkte Armando de Troeye.
    »Sie wollten Tango«, erwiderte Max.
    Er war aus dem Auto gestiegen, hatte den Hut aufgesetzt und dem Komponisten und seiner Gattin die Tür aufgehalten. Im Licht der Laterne sah er Mecha Inzunza den Seidenschal fester um die Schultern ziehen, während sie sich gleichmütig umschaute. Sie trug weder Hut noch Schmuck, ein helles Nachmittagskleid, halbhohe Schuhe und ellbogenlange weiße Handschuhe. Immer noch zu fein für diesen Teil der Stadt. Weder die dunklen Ecken noch die düstere, gepflasterte Gasse, die sich zwischen der Mauer und der Bahnstation, einem hohen Bau aus Eisen und Zement, in der Dunkelheit verlor, schienen sie zu beeindrucken. Ihr Mann dagegen – Doppelreiher aus blauem Serge, Hut und Stock – warf unruhige Blicke um sich. Offenbar übertraf die Szenerie seine Vorstellungen.
    »Und Sie kennen sich hier wirklich aus, Max?«
    »Klar. Drei Straßen weiter bin ich geboren. In der Calle Vieytes.«
    »Drei Straßen ...? Meine Güte.«
    Der Eintänzer bückte sich hinunter zum offenen Seitenfenster des Fahrers und gab ihm Anweisungen. Der Fahrer war ein massiger, wortkarger Italiener, glatt rasiert, die Schirmmütze seiner Uniform auf dem pechschwarzen Haar. Im Palace hatte man ihn als erfahrenen Chauffeur und vertrauenswürdigen Mann empfohlen, als de Troeye den Limousinenservice bestellte. Max wollte das Auto nicht vor dem Lokal parken, um nicht unnötig aufzufallen. Sie würden das letzte Stück zu Fuß gehen, also erklärte er dem Fahrer, wo er auf sie warten sollte: in Sichtweite, aber nicht zu nah. Auch fragte er ihn mit gesenkter Stimme, ob er bewaffnet sei. Der andere nickte nur und wies auf das Handschuhfach.
    »Pistole oder Revolver?«
    »Pistole«, war die knappe Antwort.
    Max grinste.
    »Ihr Name?«
    »Petrossi.«
    »Tut mir leid, dass Sie warten müssen, Petrossi. Länger als zwei Stunden wird es aber nicht dauern.«
    Es kostete nichts, freundlich zu sein. Es war eine Investition in die Zukunft. Des Nachts und in einem solchen Viertel war ein kräftiger, bewaffneter Italiener nicht zu verachten. Eine zusätzliche Sicherheit. Max sah den Chauffeur noch einmal nicken, ausdruckslos und professionell, fing jedoch auch seinen raschen, dankbaren Seitenblick auf. Er klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter und ging mit den de Troeyes davon.
    »Wir haben nicht gewusst, dass Sie hier einmal zu Hause waren«, bemerkte der Komponist. »Das haben Sie uns nie gesagt.«
    »Bisher hatte ich ja keinen Anlass.«
    »Haben Sie die ganze Zeit hier gelebt, bis Sie nach Spanien gegangen sind?«
    De Troeye gab sich redselig, vermutlich um seine Unruhe zu überspielen, die aber dennoch in seiner Stimme mitschwang. Mecha Inzunza ging an seiner Seite, zwischen ihm und Max, und hatte sich bei ihrem Mann eingehakt. Sie ließ stumm den Blick schweifen, sodass von ihr nur das Geräusch ihrer Absätze auf dem Pflaster zu hören war. Die drei wanderten die Mauer entlang und drangen allmählich in das stille, dunkle Viertel ein, das Max auf Schritt und Tritt vertraut war: die laue, feuchte Luft, der Geruch des Gestrüpps, das aus den Schlaglöchern wucherte, der

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