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Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Titel: Dreimal im Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arturo Pérez-Reverte
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modrige Gestank des nahen Riachuelo, die Bahnstation und die niedrigen Häuser, die in diesem Abschnitt noch das gewohnte Bild einer Vorstadt am Fluss boten.
    »Ja. Die ersten vierzehn Jahre meines Lebens habe ich in Barracas verbracht.«
    »Unglaublich. Sie stecken voller Überraschungen.«
    Max führte sie durch den Tunnel, der das dreifache Echo ihrer Schritte vervielfältigte, bis sie den Schein einer weiteren elektrischen Straßenlaterne auf der anderen Seite der Bahnstation erreicht hatten. Max wandte sich an de Troeye.
    »Haben Sie die Astra wirklich dabei?«
    Der Komponist lachte schallend.
    »Natürlich nicht, Mann! Das war ein Scherz. Ich trage nie Waffen.«
    Max nickte erleichtert. Die Vorstellung, dass Armando de Troeye gegen seinen Rat eine Vorstadtkaschemme mit einer Pistole in der Tasche betreten könnte, hatte ihn beunruhigt.
    »Gut so.«
    Es schien sich wenig verändert zu haben in den zwölf Jahren, in denen Max, obwohl er zwischenzeitlich ein paarmal in Buenos Aires gewesen war, sein Viertel nicht besucht hatte. Mit jedem Schritt setzte er den Fuß in seine eigene Spur. Er entsann sich des nahe gelegenen conventillo , eines typischen Mietshauses, wie es in der Calle Vieytes, in diesem Viertel, in der ganzen Stadt, etliche gab: ein heruntergekommenes, überfülltes Gebäude, in dem es unvorstellbar war, jemals für sich zu sein, zweistöckig, verwahrlost, mit hundertfünfzig zusammengedrängten Bewohnern jeden Alters, einem Stimmengewirr aus Spanisch, Italienisch, Türkisch, Deutsch und Polnisch. Zimmer, die man nicht abschließen konnte, angemietet von Großfamilien oder Gruppen alleinstehender Männer, Einwanderer beiderlei Geschlechts, die, wenn sie Glück hatten, Arbeit bei der Eisenbahngesellschaft Ferrocarril del Sud fanden oder am Hafen des Riachuelo oder in den nahen Fabriken, deren Sirenen viermal täglich ertönten und das Leben der Haushalte regelten, in denen es selten Uhren gab. Frauen schrubbten auf den Waschplätzen nasse Kleider,Scharen kleiner Kinder spielten im Hof, wo ständig Wäsche zum Trocknen hing und die verschiedenen Gerüche aufsog: Bratfett, Eintopf und den Gestank aus den Gemeinschaftsaborten mit den geteerten Wänden. Wohnungen, in denen sich die Ratten eingenistet hatten und nur Kinder mit der Unschuld ihrer jungen Jahre offen lächelten, solange sie von der unausweichlichen Enttäuschung, die das Leben für sie bereithielt, noch nichts ahnten.
    »Da ist es: La Ferroviaria.«
    Sie waren an der Laterne stehengeblieben. Die Straße am anderen Ende des Tunnels lag im Dunkeln und bestand aus einer Flucht flacher Häuser. Eines der wenigen zweistöckigen Gebäude trug den Neonschriftzug »Hotel«, bei dem der letzte Buchstabe ausgefallen war. Das Lokal, das sie suchten, befand sich am Ende der düsteren Straße: ein niedriges Gebäude, das aussah wie ein Lagerhaus, mit Wänden und Dach aus verzinktem Wellblech und einem gelblichen Lämpchen an der Tür. Max wartete, bis er von rechts die Scheinwerfer des Pierce-Arrow auftauchen sah, der langsam auf die Stelle zufuhr, an der Max den Chauffeur zu parken gebeten hatte, ungefähr fünfzig Meter entfernt an der Ecke zur nächsten Seitenstraße. Als das Licht des Wagens erlosch, musterte Max die de Troeyes und stellte fest, dass der Komponist vor Aufregung nach Luft schnappte wie ein Fisch und Mecha Inzunzas Augen eigentümlich glänzten. Dann schob er den Hut ein wenig tiefer in die Stirn, sagte »Na, dann los«, und die drei überquerten die Straße.
    La Ferroviaria roch nach Zigarrenrauch und Gin, nach Haarpomade und menschlichen Ausdünstungen. Wie viele andere Tangoschuppen am Riachuelo war es ein großes Lagerhaus, tagsüber ein Lebensmittelladen mit Getränkeausschank, nachts ein Lokal, wo musiziert und getanzt wurde:ein knarzender Dielenboden, eiserne Säulen, Tische, an denen Männer und Frauen saßen, und ein Aluminiumtresen, erleuchtet von nackten Glühbirnen, an dem sich ein paar Furcht einflößende Gestalten lümmelten. Hinter der Theke stand ein Spanier, unterstützt von einer mageren, schlampigen Kellnerin, die schwerfällig die Tische bediente. An der Wand hingen ein großer staubiger Spiegel mit Werbung für Cafés Torrados Águila und der Kalender einer französisch-argentinischen Versicherungsgesellschaft mit dem Bild eines Mate trinkenden Gauchos. Rechts vom Tresen, in der Nähe der Tür, durch die man gesalzene Sardinen in runden Spanschachteln und Nudeln in Schubladen mit Glasdeckeln sehen konnte, zwischen

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