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Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Titel: Dreimal im Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arturo Pérez-Reverte
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geöffneten Fenstern des Saals. Imhinteren Teil sorgt eine Reihe von Leuchten für gleichmäßiges, gedämpftes Licht. Auf einem Podest steht dort der Spieltisch vor acht mit Zuschauern besetzten Stuhlreihen, und an der Wand hängt ein großes Schachbrett, auf dem der Schiedsrichterassistent die Spielzüge nachstellt. In dem Saal mit der reich verzierten Decke und den großen Spiegeln herrscht andächtige Stille, in langen Abständen unterbrochen vom leisen Schaben einer Figur, die über das Brett gezogen wird, und dem darauf folgenden Klicken der Schachuhr, wenn einer der Spieler auf den Knopf schlägt, ehe er seinen Zug auf dem Notationsblatt einträgt.
    Von seinem Platz in der fünften Reihe aus beobachtet Max Costa die beiden Kontrahenten. Der Russe, in einem kastanienbraunen Anzug mit weißem Hemd und grüner Krawatte, sitzt zurückgelehnt und mit gesenktem Kopf auf seinem Stuhl. Michail Sokolow hat ein breites Gesicht auf einem zu dicken Hals, den die Krawatte einzuschnüren scheint, doch mildert der traurige, scheue Ausdruck seiner wasserblauen Augen die grobe Gesamterscheinung. Seine Korpulenz und das kurze, abstehende Haar verleihen ihm das Aussehen eines friedfertigen Bären. Wenn er gezogen hat – er spielt jetzt mit den schwarzen Steinen –, hebt er meist den Blick vom Brett und betrachtet eingehend seine Hände, die alle zehn bis fünfzehn Minuten eine Zigarette anzünden. Dazwischen bohrt der Weltmeister in der Nase oder kaut an der Haut um die Fingernägel, bevor er wieder in Gedanken versinkt oder eine neue Zigarette aus der Schachtel nimmt, die, neben einem Aschenbecher und einem Feuerzeug, immer griffbereit liegt. Tatsächlich starrt der Russe länger auf seine Hände als auf die Schachfiguren.
    Wieder klickt die Uhr. Jorge Keller, auf der anderen Seite des Schachbretts, hat einen weißen Springer gezogen, nimmt die Kappe von seinem Füllfederhalter und notiert den Zug, den der Assistent des Schiedsrichters sofort auf dem Brett ander Wand anzeigt. Jedes Mal, wenn eine Figur bewegt wird, geht eine Art Schauder durch das Publikum, ein angespannter Seufzer, ein gedämpftes Murmeln. Die Partie ist etwa zur Hälfte gespielt.
    Am Schachbrett wirkt Jorge Keller noch jünger. Mit dem zerzausten schwarzen Haar, dem Sportjackett über einer zerknitterten Khakihose, dem gelockerten Knoten der schmalen Krawatte und den auffälligen Sportschuhen wirkt der junge Chilene ungepflegt, aber nett. Sympathisch. Sein Äußeres und sein Benehmen lassen eher an einen exzentrischen Studenten denken als an den gefürchteten Schachspieler, der Sokolow in fünf Monaten den Weltmeistertitel abspenstig machen will. Max hat ihn am Anfang der Partie mit einer Flasche Orangensaft auf die Bühne kommen sehen, wo der andere bereits wartete. Er gab seinem Kontrahenten die Hand, ohne ihn anzusehen, stellte die Flasche auf den Tisch, setzte sich und machte sofort den ersten Zug. Im Gegensatz zu Sokolow raucht Keller nicht und rührt sich auch sonst kaum, während er nachdenkt oder wartet, nur ab und zu greift er nach dem Orangensaft und trinkt aus der Flasche. Manchmal, wenn er auf den nächsten Zug des Russen wartet – beide nehmen sich viel Zeit für ihre Entscheidungen, Sokolow braucht jedoch in der Regel länger –, verschränkt Keller die Arme über der Tischkante, legt den Kopf darauf, als sähe er besser mit geschlossenen Augen, und blickt erst auf, wenn der andere gezogen hat und ihn das leise Aufsetzen der gegnerischen Figur zu wecken scheint.
    Max geht das alles zu langsam. Ein Schachspiel, erst recht eines dieser Kategorie und Protokollstrenge, erscheint ihm todlangweilig. Auch wenn ihm Lambertucci und der Capitano Tedesco das tiefere Geheimnis jedes Zuges erklären würden, kann er sich nicht vorstellen, für die Feinheiten dieses Spiels ein gesteigertes Interesse aufzubringen. Dafür erlaubt ihm sein privilegierter Platz, ungehindert zu beobachten. Undnicht nur die Schachspieler. In einem Rollstuhl in der ersten Reihe sitzt, flankiert von einer Pflegerin und einem Sekretär, der Mäzen des Turniers, der millionenschwere Industrielle Campanella, der nicht mehr gehen kann, seit er in einer Kurve auf der Straße von Rapallo nach Portofino die Kontrolle über seinen Aurelia Spider verloren hat. Auf der linken Seite in derselben Reihe sitzt zwischen der jungen Irina Jasenovic und dem dicken Mann mit der Glatze und dem graumelierten Bart auch Mecha Inzunza. Max muss sich nur ein wenig zur Seite beugen, damit ihm der Kopf des

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