Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
Vortritt zu lassen.
»Wenn es haarig wird, stecken wir alle drei drin, nicht ich allein ... Müssen wir denn unbedingt Ihre Frau mitnehmen?«
»Sie kennen Mecha nicht. Sie würde es mir niemals verzeihen, wenn ich sie im Hotel zurückließe. Der Gedanke, sich ins Nachtleben der Unterstadt zu stürzen, erregt sie wahnsinnig.«
Mit leichtem Befremden ging der Eintänzer die unterschiedlichen Bedeutungen des Wortes erregen durch. Er mochte die Frivolität nicht, mit der de Troeye manche Wörter versah. Dann fielen ihm Mecha Inzunzas honigfarbene Augen ein, ihr Blick an Bord der Cap Polonio, als zum ersten Mal die Rede von einem Besuch der Spelunken von Buenos Aires war. Womöglich war diese Ausdrucksweise gar nicht so verkehrt wie sie klang.
»Warum gehen Sie mit uns dorthin, Max? Warum tun Sie das für uns?«
Verdutzt sah er de Troeye an. Die Frage klang ernst gemeint. Ehrlich. Dabei wirkte der Komponist geistesabwesend. Als ließe er sich mit einer höflichen Floskel abspeisen.
»Ich weiß nicht recht, was ich sagen soll.«
Sie überquerten die Calle Reconquista und die Calle de San Martín und folgten weiter der Avenida Corrientes. An den Baustellen wurde gearbeitet, es gab weitere Schächte unter den Straßenbahnleitungen und um die elektrischen Laternen, und dazwischen fuhren Autos und Pferdedroschken, die vor jedem Engpass anhielten. Die Gehsteige waren sehr belebt, und unter den Markisen, die über den Schaufenstern der Läden, Cafés und Patisserien für Schatten sorgten, wimmelte es von Strohhüten und dunklen Polizeiuniformen.
»Ich werde mich natürlich entsprechend erkenntlich zeigen.«
Das versetzte Max einen neuerlichen Stich. Schärfer diesmal.
»Darum geht es nicht.«
De Troeye balancierte fröhlich seinen Spazierstock. Er trug die Jacke seines cremefarbenen Anzugs offen und hatte einen Daumen ins Armloch der Weste gehakt, aus deren Tasche die goldene Uhrkette hing.
»Ich weiß, dass es darum nicht geht. Deshalb ja meine Frage.«
»Wie schon gesagt, ich weiß es nicht.« Max griff verlegen an seine Hutkrempe. »Auf dem Schiff haben Sie ...«
Er brach ab und starrte auf das helle Rechteck, das dieSonne an der Kreuzung der Avenida Corrientes und der Calle Florida auf die Straße warf. In Wahrheit redete er nur, um irgendetwas zu sagen. Eine Weile ging er schweigend weiter und dachte an die Frau: ihren nackten Rücken oder die Haut unter dem schmiegsamen Stoff des Kleides. Das prachtvolle Dekolletee und die Perlenkette im Licht des Ballsaals auf dem Überseedampfer.
»Sie ist schön, nicht wahr?«
Ohne den Kopf zu drehen, wusste Max, dass Armando de Troeye ihn ansah. Wie, wollte er lieber nicht wissen.
»Wer?«
»Sie wissen, wen ich meine. Meine Frau.«
Wieder Schweigen. Schließlich wandte sich Max seinem Gesprächspartner zu.
»Und Sie, Herr de Troeye?«
Sein Lächeln gefällt mir nicht, stellte er mit einem Mal fest. Jedenfalls dieses nicht. Diese Art, den Schnurrbart zu kräuseln. Vielleicht hat es mir vorher auch schon nicht gefallen.
»Nennen Sie mich doch Armando«, sagte der Komponist. »Bitte.«
»Einverstanden, Armando ... Also, worauf sind Sie aus?«
Sie waren nach links in die Calle Florida abgebogen: eine Fußgängerzone ab drei Uhr nachmittags, mit geparkten Autos und Schaufenstern. Die ganze Straße wirkte wie eine doppelreihige Vitrine.
De Troeyes Geste deutete auf die Straße, als läge dort unübersehbar die Antwort.
»Das wissen Sie doch. Ich will einen unvergesslichen Tango schreiben. Aus purer Lust und Laune.«
Während er sprach, betrachtete er zerstreut die Herrenhemden in der Auslage von Gath & Chaves. Sie schoben sich durch das Getümmel auf der Einkaufsstraße, wo vor allem gutgekleidete Frauen unterwegs waren. An einem Zeitungskiosk hing die neueste Ausgabe von Caras y Caretas mit dem breiten Lächeln Carlos Gardels auf der Titelseite.
»In Wahrheit begann alles mit einer Wette. Ich war in San Juan de Luz bei Ravel, und er spielte mir einen Irrsinn vor, den er für das Ballett von Ida Rubinstein komponiert hatte: einen durchgängig hämmernden Bolero, der allein auf wechselnder Orchesterstärke basiert ... Wenn du einen Bolero schreiben kannst, habe ich gesagt, dann kann ich einen Tango schreiben. Wir lachten uns kaputt und wetteten um ein Abendessen. Und bitte schön, hier bin ich ...«
»Das habe ich nicht gemeint, als ich Sie fragte, worauf Sie aus sind. Ich meinte, außer dem Tango.«
»Einen Tango komponiert man nicht nur aus Noten, mein Freund.
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