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Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Titel: Dreimal im Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arturo Pérez-Reverte
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einem kalten Kerosinofen und einem alten, klapprigen Pianola der Marke Olimpo, gab es eine kleine Orchesterbühne, auf der drei Musiker – Bandoneon, Geige und ein Klavier, dessen linke Tasten von Zigaretten angebrannt waren – eine Melodie aus Buenos Aires spielten, ein schmachtendes Klagelied, in dem Max Costa den Tango Gallo viejo zu erkennen meinte.
    »Herrlich«, murmelte Armando de Troeye hingerissen. »Das ist überwältigend, wundervoll ... Eine fremde Welt.«
    Schau ihn dir nur an, dachte Max seufzend. Der Komponist hatte Hut und Stock auf einen Stuhl gelegt, aus der linken Tasche seines Jacketts lugte ein Paar gelber Handschuhe, und als er die Beine übereinanderschlug, kamen unter der Hose mit den scharfen Bügelfalten Knopfgamaschen zum Vorschein. Ohne Zweifel war dies der Gegenpol zu den Ballsälen, die das Ehepaar bisher in großer Gala besucht hatte. La Ferroviaria war in der Tat eine andere Welt und bevölkert von anderen Wesen. Das weibliche Publikum bestand aus einem Dutzend Frauen, fast alle jung, die mit Männern zusammensaßen oder auf der freien Fläche zwischen den Tischen tanzten. Das seien keine Prostituierten, erklärte Max leise, sondern coperas : Damen, die Männer animieren sollten, zutanzen – für jeden Tanz erhielten sie eine Marke, die der Wirt gegen ein paar Centavos eintauschte – und so viel wie möglich zu trinken. Einige hätten einen Freund oder Verlobten, andere nicht. Von den Männern, die hier herumsäßen, widmeten sich etliche diesem Geschäft.
    » Cafiolos ?«, versuchte de Troeye den Ausdruck anzubringen, den er an Bord der Cap Polonio von Max gelernt hatte.
    »Mehr oder weniger«, bestätigte dieser. »Aber nicht alle Frauen hier haben einen. Einige arbeiten auch strikt als tangueras , als Tangotänzerinnen. Sie verdienen sich damit ihren Lebensunterhalt wie andere in den Fabriken und Werkstätten der Umgebung. Anständige Mädchen, alles in allem.«
    »Wenn sie tanzen, sehen sie jedenfalls nicht aus wie anständige Mädchen«, sagte de Troeye und schaute sich um. »Nicht einmal, wenn sie sitzen.«
    Max wies auf die Paare, die auf der Tanzfläche schwoften. Die Männer, ernst, würdevoll, übertrieben maskulin, erstarrten oft abrupt mitten in der Musik, die schneller war als der einschlägige moderne Tango, und nötigten die Frau, ihren Partner zu umkreisen, ohne ihn loszulassen, sich dicht an ihn gepresst um ihn herum zu bewegen. Die Frauen schwenkten daraufhin die Hüften wie in einem halbherzigen Fluchtversuch, während sie ein Bein außen und innen an den Schenkeln des Mannes entlanggleiten ließen. Extrem sinnlich.
    »Wie Sie sehen, ist das eine andere Form von Tango. Eine andere Atmosphäre.«
    Die Kellnerin brachte einen Krug mit Gin und drei Gläser, stellte alles auf den Tisch und musterte Mecha Inzunza von oben bis unten; mit einem teilnahmslosen Blick auf die beiden Männer wischte sie sich die Hände an der Schürze ab und entfernte sich. Nachdem bei ihrem Eintreten schlagartig ein unbehagliches Schweigen entstanden war – zwanzig neugierige Blicke waren ihnen von der Tür bis zum Tisch gefolgt –, hatte man die Unterhaltung inzwischen wieder aufgenommen, allerdings wurden sie, aus dem Augenwinkel oder ganz ungeniert, weiter beobachtet. Max erschien das nur logisch, und er hatte mit nichts anderem gerechnet. Zwar konnte man häufig Nachtschwärmern aus der besseren Gesellschaft von Buenos Aires begegnen, die sich bei ihren Streifzügen auf der Suche nach Pittoreskem und Anrüchigem in die übelsten Kabaretts und Cafés der Vorstädte verirrten, doch Barracas und La Ferroviaria lagen abseits dieser frivolen Route. Die Kundschaft bestand fast nur aus Alteingesessenen und dem einen oder anderen Matrosen von den Gabarren und Schleppkähnen am Riachuelo-Hafen.
    »Und die Männer?«, erkundigte sich de Troeye.
    Max trank einen Schluck von seinem Gin, ohne jemanden anzusehen.
    »Klassische compadritos der Vorstädte, oder zumindest tun sie noch so, als ob sie es wären. Sie hängen an alldem.«
    »Das klingt ja beinahe nach Zuneigung.«
    »Mit Zuneigung hat das nichts zu tun. Ich sagte Ihnen ja schon: Ein compadrito ist ein Trampel aus der Unterstadt mit dem Gehabe eines großmäuligen Streithammels. Die wenigsten sind das wirklich; die meisten wären es gern oder möchten zumindest so aussehen.«
    De Troeyes Gebärde umfasste das ganze Lokal.
    »Und die hier? Sind sie es, oder sehen sie nur so aus?«
    »Hier ist alles vertreten.«
    »Hochinteressant, findest

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