Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
ohnmächtiger Wut. Für eine solche Infamie sollte jemand büßen müssen. Für eine so unerträgliche Schmach.
»Tourismus, Hotels, Investitionen«, erwidert er schließlich. »Sachen in dieser Richtung ... Ich bin auch Teilhaber einer Klinik am Gardasee«, schwadroniert er wieder drauflos. »Da habe ich ein paar Ersparnisse reingesteckt.«
»Hast du geheiratet?«
»Nein.«
Sie lässt den Blick gedankenverloren über die Terrasse hinaus aufs Meer schweifen, als hätte sie Max’ letzte Antwort nicht gehört.
»Ich muss jetzt gehen ... Jorge spielt heute Nachmittag, und bis dahin gibt es noch eine Menge zu tun. Ich bin nur für einen Augenblick heruntergekommen, um frische Luft zu schnappen und einen Kaffee zu trinken.«
»Du regelst alles für ihn, habe ich gelesen. Seit seiner Kindheit.«
»Zum Teil. Ich bin seine Mutter, seine Managerin und seine Sekretärin, organisiere seine Reisen, kümmere mich um die Hotels, die Verträge, solche Dinge. Aber er hat auch seine Sekundanten, mit denen er Partien analysiert und sich vorbereitet und die ihn ständig begleiten.«
»Sekundanten?«
»Ein Anwärter auf den Weltmeistertitel arbeitet nicht allein. Die Partien entstehen nicht aus dem Stegreif. Dazu braucht man ein Team von Spezialisten.«
»Auch beim Schach?«
»Vor allem beim Schach.«
Sie stehen auf. Max hat genug Erfahrung, um zu wissen, dass es fürs Erste genügt. Man muss den Dingen ihren Lauf lassen; sie forcieren zu wollen ist ein Irrtum. Schon viele Männer, ermahnt er sich, sind daran gescheitert, weil sie sich für zu schlau hielten. Also lächelt er nur auf seine bewährte Weise, was sein sorgfältig rasiertes und von der Sonne des Golfs dezent gebräuntes Gesicht vorteilhaft zur Geltung bringt, er strahlt sie offenherzig an, mit gepflegten Zähnen, die leidlich erhalten sind dank zweier Kronen, eines halben Dutzends Plomben und eines künstlichen Eckzahns in der Lücke, die ihm ein Polizist in einem Kabarett auf der Cumhuriyet Caddesi in Istanbul geschlagen hatte. Das sympathische, mit den Jahren reifer gewordene Lächeln eines netten Kerls in den Sechzigern.
Mecha Inzunza sieht dieses Lächeln und erkennt es offenbar wieder. In ihrem Blick liegt etwas fast Schelmisches. Schließlich scheint auch sie zu zögern.
»Wie lange bleibst du?«
»Noch ein paar Tage. Bis ich die erwähnten geschäftlichen Angelegenheiten geregelt habe.«
»Vielleicht sollten wir ...«
»Natürlich sollten wir.«
Unentschlossenes Schweigen. Sie hat die Hände in die Taschen ihrer Strickjacke gesteckt und die Schultern ein wenig hochgezogen.
»Iss mit mir zu Abend«, schlägt Max vor.
Mecha gibt keine Antwort. Sie betrachtet ihn nachdenklich.
»Für einen Augenblick«, sagt sie dann, »habe ich dich gesehen, wie du im Tanzsaal dieses Schiffes vor mir standest, so jung und fesch, in deinem Frack ... Mein Gott, Max. Du siehst verheerend aus.«
Er setzt eine zerknirschte Miene auf und neigt mit einem übertriebenen Ausdruck von Resignation den Kopf.
»Ich weiß.«
»Stimmt überhaupt nicht.« Plötzlich lacht sie hell auf, so jung wie damals. Ihr schallendes, unbekümmertes Lachen. »Du hältst dich gut für dein Alter. Unser Alter. Ich dagegen ... Das Leben ist so ungerecht!«
Sie verstummt, und Max meint in ihrem Gesicht die Züge ihres Sohnes zu erkennen; seinen Ausdruck, wenn er am Brett das Kinn auf die Arme legt.
»Vielleicht sollten wir, ja«, sagt sie schließlich. »Uns eine Weile unterhalten. Aber das letzte Mal ist dreißig Jahre her. Es gibt Orte, an die man niemals zurückkehren darf. Das hast du selbst einmal gesagt.«
»Das bezog sich nicht auf konkrete Orte.«
»Ich weiß, worauf es sich bezog.«
Ihr Lächeln ist jetzt spöttisch. Oder eher eine mutlose Grimasse. Ehrlich und traurig.
»Sieh mich an: Glaubst du wirklich, ich bin in der Verfassung, irgendwohin zurückzukehren?«
»Von dieser Art Rückkehr rede ich nicht«, widerspricht er und setzt sich auf. »Sondern von unseren Erinnerungen. Von dem, was wir einmal waren.«
»Du mein Zeuge, ich deine Zeugin?«
Max erwidert ihren Blick, ohne auf ihr verschmitztes Lächeln einzugehen.
»Vielleicht. In der Welt, wie wir sie damals erlebt haben.«
Mit einem Mal ist Mecha Inzunzas Blick weich. Das Sonnenlicht intensiviert den alten goldenen Glanz.
»Der Tango de la Guardia Vieja «, sagt sie leise.
»Ganz recht.«
Sie betrachten einander. Und schon ist sie beinahe wieder schön, denkt Max. Durch den Zauber einiger weniger Worte.
»Ich
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