Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
scheinen sich die Züge der Frau, die Max gegenübersitzt, zu glätten. Die sanfte Tischbeleuchtung der Trattoria Stefano verwischt die Spuren der vergangenen Jahre und gibt dem Gesicht die klaren Linien der außerordentlichen Schönheit zurück, die Mecha Inzunza einst besessen hat.
»Ich hätte nie gedacht, dass Schach mein Leben auf dieseWeise verändern würde«, sagt sie gerade. »Eigentlich war es mein Sohn, der es verändert hat. Das Schachspielen ist eher ein äußerer Umstand ... Wäre er Musiker geworden oder Mathematiker, hätte das wahrscheinlich keinen großen Unterschied gemacht.«
Die Temperatur direkt am Wasser ist noch angenehm. Die Arme der Frau sind entblößt, eine leichte, cremefarbene Jacke hängt über der Stuhllehne, und sie trägt ein langes violettes Baumwollkleid, schlicht und stilsicher, das ihre Figur zur Geltung bringt und der neuen Mode mit ihren kurzen Röcken und grellen Farben, die man in letzter Zeit sogar an älteren Frauen sieht, eine klare Absage erteilt. Um den Hals trägt sie das dreifach geschlungene Perlencollier. Max sitzt vor ihr, ohne sich zu rühren, und zeigt ein Interesse, das über reine Höflichkeit weit hinausgeht. Man müsste schon sehr genau hinschauen, um in dem ruhigen, grauhaarigen Herrn, der sich aufmerksam über den Tisch neigt, vor sich ein Glas, an dem er kaum nippt – getreu seiner alten Gewohnheit: wenig Alkohol, wenn etwas Wichtiges auf dem Spiel steht –, den Chauffeur von Doktor Hugentobler zu erkennen. Er ist tadellos gekleidet, mit seinem doppelreihigen Blazer, der grauen Flanellhose, dem Hemd in blassblauem Oxford-Karo und der braunen Strickkrawatte.
»Oder vielleicht doch«, fährt Mecha Inzunza fort. »Die Welt der Schachprofis ist komplex. Sehr vereinnahmend. Sie stellt besondere Ansprüche. Verlangt eine spezielle Art zu leben. Die sich auch sehr stark auf das Umfeld der Spieler auswirkt.«
Wieder verstummt sie und senkt den Kopf, während sie mit einem Finger – kurze, gepflegte, unlackierte Nägel – am Rand der leeren Kaffeetasse entlangstreicht.
»In meinem Leben hat es tiefe Einschnitte gegeben«, sagt sie nach einer Weile. »Situationen, die zu radikalen Umbrüchen geführt und neue Etappen eingeleitet haben. ArmandosTod im spanischen Krieg war einer dieser Momente. Ich bekam dadurch eine Art von Freiheit zurück, die ich eigentlich gar nicht wollte und auch nicht brauchte.« Sie unterbricht sich, sieht Max an und macht eine unschlüssige, leicht resignierte Geste. »Die Entdeckung, dass mein Sohn ein Schachwunderkind ist, war auch so ein Moment.«
»Wie ich gehört habe, lebst du praktisch nur für deinen Sohn.«
Sie schiebt die Tasse zur Seite und lehnt sich im Stuhl zurück.
»Das ist vielleicht zu viel gesagt. Was es heißt, ein Kind zu haben, kann man jemandem, der keine hat, nicht erklären. Hast du welche?«
Max schmunzelt. Er erinnert sich noch gut, dass sie ihm vor fast dreißig Jahren in Nizza dieselbe Frage schon einmal gestellt hat. Und dass er ihr dieselbe Antwort gegeben hat.
»Nicht dass ich wüsste ... Warum Schach?«
»Weil Jorge von klein auf davon besessen war. Es war ein Fluch und ein Segen. Stell dir vor, du schaust jemandem zu, den du von ganzem Herzen liebst, wie er versucht, ein unbegreifliches, hochkompliziertes Problem zu lösen. Du würdest ihm zu gern helfen, weißt aber nicht, wie. Also suchst du nach Leuten, die das für ihn tun, was du nicht kannst, Lehrer, Sekundanten ...«
Sie lächelt nachdenklich und lässt den Blick schweifen. Die Tische der Trattoria Emilia, ein Stück weiter in Richtung des kleinen Fischerhafens, sind leer, und vor der Tür plaudert der gelangweilte Kellner mit der Köchin. Nur eine Gruppe Amerikaner brüllt und lacht auf der Terrasse eines Lokals am anderen Ende des Strandes, wo aus einer Jukebox die Stimme Edoardo Vianellos ertönt und Abbronzatissima singt.
»Es ist so ähnlich wie für eine Mutter, deren Sohn rauschgiftsüchtig ist. Wenn sie ihn nicht davon abbringen kann, wird sie ihm eben helfen, die Drogen zu beschaffen.«
Ihr Blick verliert sich, vorbei an Max und den auf dem Sand liegenden Fischerbooten, hin zu den fernen Lichtern, die den Golf säumen und sich den schwarzen Hang des Vesuvs hinaufziehen.
»Es war nicht auszuhalten, ihn am Schachbrett leiden zu sehen«, fährt sie fort. »Das ist bis heute schlimm für mich. Anfangs wollte ich ihn davon erlösen. Ich gehöre nicht zu den Müttern, die aus persönlichem Ehrgeiz ihre Kinder antreiben. Im
Weitere Kostenlose Bücher