Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
Umgangsformen beobachtet. Ihnen zugehört und zugeschaut. Außerdem hat mir ein Freund dabei geholfen.«
»Mögen Sie Ihre Arbeit?«
»Manchmal. Tanzen dient nicht nur dazu, mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Es ist auch ein Vorwand, gelegentlich eine schöne Frau in den Armen zu halten.«
»Und immer picobello im Frack oder Smoking?«
»Klar. Das ist meine Arbeitskleidung.« Fast hätte er hinzugefügt ›für die ich einem Schneider in der Rue Danton noch immer Geld schulde‹, hielt sich aber zurück. »Für einen Tango ebenso wie für einen Fox oder einen Black Bottom.«
»Jetzt enttäuschen Sie mich aber. Ich hatte Sie mir vorgestellt, wie Sie unanständige Tangos in den übelsten Kneipen am Pigalle tanzen, wo erst Stimmung aufkommt, wenn die Laternen angehen und die Huren, Zuhälter und Gauner unterwegs sind.«
»Sie sind ja bestens informiert.«
»Ich sagte doch bereits, dass La Ferroviaria nicht der erste dubiose Ort ist, den ich besuche. Man könnte es als lasterhaftes Vergnügen an der Promiskuität bezeichnen.«
»Mein Vater pflegte zu sagen: ›Er wurde Dompteur und von einem gezähmten Löwen in Stücke gerissen.‹«
»Kluger Mann, Ihr Vater.«
Sie traten den Rückweg an, spazierten gemächlich auf das Lämpchen zu, das die Straßenecke und die Tür von La Ferroviaria erleuchtete. Sie ging mit gesenktem Kopf ein Stück voraus. Rätselhaft.
»Und was hält Ihr Mann davon?«
»Armando ist ebenso neugierig wie ich. Oder beinahe.«
Er überlegte, was wohl alles unter den Begriff Neugierde fallen mochte. Er dachte an diesen Juan Rebenque, sein Gehabe, als er an ihrem Tisch stand, und an die kalte Arroganz, mit der sie auf ihn eingegangen war. Er erinnerte sich auch an ihre schwingenden Hüften unter der feinen Seide des Kleides und daran, wie sie den Unterleib des compadrón umkreist hatten. Und an den provokanten Ton, mit dem sie danach »Jetzt sind Sie dran« gesagt hatte.
»Ich kenne Pigalle und das alles«, erwiderte Max. »Beruflich allerdings habe ich an anderen Orten verkehrt. Bis März habe ich in einem russischen Kabarett auf der Rue de Liège am Montmartre gearbeitet, dem Shéhérazade. Davor war ich im Kasmet und im Casanova. Auch bei den Tanztees im Ritz und in der Hochsaison in Deauville und Biarritz.«
»Wie schön. Offenbar haben Sie mehr als genug zu tun.«
»Ich kann nicht klagen. Mit dem Tango ist es auch Mode geworden, Argentinier zu sein. Oder zumindest wie einer auszusehen.«
»Warum haben Sie in Frankreich gelebt und nicht in Spanien?«
»Das ist eine lange Geschichte. Ich würde Sie damit langweilen.«
»Das glaube ich nicht.«
»Vielleicht würde ich mich selbst damit langweilen.«
Sie blieb stehen. Im matten Licht der Laterne war ihr Gesicht besser zu erkennen. Klare Züge, stellte er wieder fest. Außerordentlich gelassen. Selbst in dieser Beleuchtung zeigte sich die besondere Klasse dieser Frau. Und noch ihre alltäglichsten Gesten wirkten wie souveräne Skizzen für ein Gemälde oder eine Skulptur.
»Womöglich sind wir uns ja irgendwo schon einmal begegnet«, sagte sie.
»Möglich, aber unwahrscheinlich.«
»Warum?«
»Wie ich Ihnen bereits auf dem Schiff sagte: Sie wären mir aufgefallen.«
Sie sah ihn an, ohne etwas zu erwidern. Einen doppelten Goldreflex in den reglosen Pupillen.
»Wissen Sie was?«, begann er wieder. »Mir gefällt die Selbstverständlichkeit, mit der Sie akzeptieren, wenn man Ihnen sagt, dass Sie schön sind.«
Mecha Inzunza schwieg und sah ihn weiter an. Auch wennsie jetzt zu lächeln schien, denn in ihrem Mundwinkel zeigte sich die Andeutung eines Grübchens.
»Ich verstehe Ihren Erfolg bei Frauen. Sie sind ein gutaussehender Mann ... Macht es Ihnen nichts aus, etlichen reifen Damen oder jungen Mädchen das Herz gebrochen zu haben?«
»Überhaupt nicht.«
»Sie haben recht. Bei Männern sind Gewissensbisse selten, wenn es um Geld oder Sex geht. Und wenn es um einen Mann geht, auch bei Frauen ... Davon abgesehen sind wir auf Ritterlichkeit gar nicht so erpicht, wie die Männer immer glauben. Und manchmal zeigen wir das, indem wir uns in einen Schuft oder Wüstling verlieben.«
Sie trat vor den Eingang des Lokals und wartete dort, als hätte sie noch nie selbst eine Tür geöffnet.
»Überraschen Sie mich, Max. Ich habe Geduld. Ich werde darauf warten, dass Sie mich in Erstaunen versetzen.«
Er streckte die Hand nach der Tür aus und musste sich zusammenreißen. Hätte er nicht gewusst, dass der Chauffeur sie vom Wagen
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