Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Titel: Dreimal im Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arturo Pérez-Reverte
Vom Netzwerk:
aus beobachtete, hätte er versucht, sie zu küssen.
    »Ihr Mann ...«
    »Ach Gott. Vergessen Sie meinen Mann.»
    Während er der Erinnerung an die vergangene Nacht in La Ferroviaria nachhing, schabte die Klinge über sein Kinn. Auf der linken Wange war nur noch ein wenig Schaum wegzurasieren, als es an der Tür klopfte. Er öffnete, ohne sich um sein Aussehen zu scheren – er trug Hose und Schuhe, war aber noch im Unterhemd mit seitlich herunterbaumelnden Hosenträgern –, und erstarrte. Die Klinke fest umklammert, riss er vor Schreck und Verblüffung den Mund auf.
    »Guten Morgen«, sagte sie.
    Sie war vormittäglich zurechtgemacht: lockere, gerade geschnittene Kleidung, ein Umschlagtuch mit weißen Punkten auf blauem Grund und ein Topfhut, der das Oval ihres Gesichts betonte. Mit einem belustigten Schmunzeln betrachtete sie das Messer in seiner rechten Hand. Dann wanderte ihr Blick aufwärts, über das eng anliegende Unterhemd, die losen Träger, den Seifenrest in seinem Gesicht, bis sie ihm in die Augen sah.
    »Ich komme wohl ungelegen«, sagte sie mit verstörendem Gleichmut.
    Mittlerweile war Max wieder in der Lage zu reagieren. Er murmelte eine Entschuldigung wegen seiner Aufmachung, bat sie herein, schloss die Tür, legte das Messer ins Becken, warf die Tagesdecke über das ungemachte Bett, zog die Hosenträger hoch und schlüpfte in ein kragenloses Hemd. Während er es zuknöpfte, rang er um Fassung und seine Gedanken überschlugen sich.
    »Verzeihen Sie die Unordnung. Ich konnte ja nicht damit rechnen ...«
    Sie sagte nichts, sah ihm nur zu und schien seine Verwirrung zu genießen.
    »Ich wollte nur meinen Handschuh abholen.«
    Max’ Lider flatterten, bis ihre Worte sich gesetzt hatten.
    »Ihren Handschuh?«
    »Ja.«
    Als er endlich begriffen hatte, was sie meinte, öffnete er, noch immer verwirrt, den Kleiderschrank. Dort steckte der Handschuh in der Brusttasche des Jacketts, das er am Vorabend getragen hatte. Es hing neben dem grauen Dreiteiler, einer Flanellhose und den beiden Abendanzügen, dem Frack und dem Smoking, die er zur Arbeit trug. Außerdem gab es noch ein Paar schwarze Schuhe, einige Krawatten und Strümpfe – an diesem Morgen hatte er ein Paar geflickt, indem er ein Mategefäß als Stopfei benutzte –, außerdem dreiweiße Hemden und ein halbes Dutzend gestärkte Kragen und Manschetten. Das war alles. Im Spiegel der Schranktür konnte er sehen, dass Mecha Inzunza jede seiner Bewegungen verfolgte, und er schämte sich für seine überschaubare Garderobe. Er wollte eine Jacke überziehen, um ihr nicht in Hemdsärmeln gegenüberzustehen, doch sie schüttelte den Kopf.
    »Das ist nicht nötig. Ich bitte Sie, bei dieser Hitze ...«
    Als er die Schranktür wieder geschlossen hatte, trat er auf sie zu und überreichte ihr den Handschuh. Sie nahm ihn, ohne hinzusehen, behielt ihn in der Hand und klopfte damit leicht gegen das Saffianleder ihrer Tasche. Sie übersah den einzigen Stuhl und stand so entspannt mitten im Zimmer wie im Salon eines Hotels. In aller Ruhe wanderte ihr Blick umher und blieb an diesem oder jenem Detail hängen: dem hellen Rechteck, das die Sonne auf die gesprungenen Bodenfliesen malte; der strapazierten Reisetruhe mit den Aufklebern von Schiffsgesellschaften und drittklassigen Hotels; dem Primus-Stövchen auf der Marmorplatte der Kommode; dem Rasierzeug, der Schachtel mit dem Zahnpulver und der Tube Stacomb-Brillantine neben dem Waschbecken. Auf dem Nachttisch am Bett unter einer Kerosinlampe – in der Pension wurde abends um elf der Strom abgestellt – lagen ein französischer Reisepass, das Zigarettenetui mit den fremden Initialen, eine Schachtel Streichhölzer mit dem Schriftzug der Cap Polonio und eine Geldbörse, deren Inhalt nicht zu sehen war, wie Max erleichtert feststellte, denn sie enthielt lediglich sieben Fünfzig-Peso-Scheine und drei Zwanziger.
    »Ein Handschuh ist wichtig«, sagte sie. »Den gibt man nicht so ohne weiteres her.«
    Dann nahm sie langsam den Hut ab, während ihr noch immer schweifender Blick wie zufällig den Eintänzer traf und innehielt. Sie neigte den Kopf ein wenig zur Seite, undwieder bewunderte er die lange Linie ihres Halses, der durch das kurz geschnittene Haar noch nackter wirkte.
    »Interessantes Lokal gestern. Armando möchte noch einmal hin.«
    Max fand nur mit Mühe die Sprache wieder.
    »Heute Abend?«
    »Nein. Heute müssen wir zu einem Konzert im Teatro Colón. Wäre es Ihnen morgen recht?«
    »Natürlich.«
    Sie setzte sich

Weitere Kostenlose Bücher