Dreizehn bei Tisch
verhängnisvolle Golddöschen mit seinem tödlichen Inhalt – die rührende Gestalt einer jungen Frau, vor der ein erfolgreiches Leben liegt… wo mag sie den allerletzten Abend zugebracht haben… von welchen Gefühlen wurde sie beherrscht… Na ja, Sie wissen schon, was die Federfuchser zusammenkritzeln! Kurz und gut, eine Kellnerin aus dem Corner House las den Erguss und erinnerte sich an eine Dame, die sie bedient und bei der sie eine derartige Dose gesehen hatte. Sogar an das C. A. in roten Steinen erinnerte sie sich…«
Ja, so musste man die Dinge anpacken! Da hörte Japp all diese Nachrichten aus erster Hand und ließ sicher viele wertvolle Einzelheiten unbeachtet, und Poirot, der hundertmal begabtere Poirot, begnügte sich damit, sie nachher aus Japps Mund zu erfahren.
»Ich habe die Kellnerin verhört. Sie konnte zwar Carlotta Adams’ Fotografie aus den ihr vorgelegten nicht herausgreifen, aber sie erklärte das glaubhafterweise damit, dass sie nicht so sehr auf die Gesichtszüge der Dame geachtet habe. Sie sei jung, dunkel und schlank gewesen, sehr gut gekleidet, und habe auf dem einen Ohr einen der neuen Hüte getragen. Ich wollte, das Weibervolk guckte ein bisschen mehr auf die Gesichter und ein bisschen weniger auf die Hüte.«
»Miss Adams’ Gesicht prägte sich einem nicht so ohne Weiteres ein«, gab Poirot zu bedenken. »Es verfügte über zu viel Wandlungsfähigkeit, Empfindsamkeit; es war, möchte ich sagen, von weicher, fließender Art.«
»Vielleicht haben Sie Recht – ich verstehe mich nicht auf solche psychologischen Spitzfindigkeiten. Jedenfalls sei die Dame schwarz gekleidet gewesen und habe einen Koffer bei sich gehabt, erklärte mir die Kellnerin; es habe sie noch gewundert, dass eine derartig elegante Dame einen Koffer mit sich herumschleppte. Die Fremde bestellte Rührei und Kaffee, aber nach Ansicht der Kellnerin nur, um die Zeit totzuschlagen, denn sie habe offenbar jemanden erwartet. Verschiedentlich habe sie auf die Armbanduhr geschaut. Als das Mädchen ihr die Rechnung vorlegte, bemerkte es die Golddose. Die Dame drehte und wendete sie mit träumerischem Lächeln hin und her, klappte den Deckel auf, klappte ihn wieder zu, und hierbei blitzten die roten Steine der beiden Buchstaben hell auf. Aber auch nach dem Begleichen der Rechnung ist Miss Adams noch längere Zeit sitzen geblieben. Schließlich sah sie zum letzten Mal auf die Uhr, schien das Warten aufzugeben und ging hinaus.«
Poirot runzelte die Stirn.
»Das war ein Rendezvous«, murmelte er. »Ein Rendezvous mit jemanden, der es vorzog, nicht zu kommen. Aber hat Carlotta ihn hinterher getroffen? Oder verfehlte sie ihn, fuhr heim und versuchte, ihn telefonisch zu erreichen? Oh, wenn ich das doch wüsste!«
»Kleben Sie noch immer an Ihrer Theorie des Unbekannten hinter den Kulissen, Monsieur Poirot? Geben Sie sie auf – jener Unbekannte ist ein Fantasiegebilde. Damit will ich aber keineswegs sagen, dass die Adams sich nicht doch für später, also nach Erledigung ihres Geschäftes mit Lord Edgware, verabredet hatte. Nun, wir wissen, was geschah; sie verlor den Kopf und erstach Edgware. Doch sie ist nicht die Frau, die den Kopf für längere Zeit verliert. Sie verändert auf dem Bahnhof Euston abermals ihr Aussehen, begibt sich mit ihrem Koffer zum verabredeten Stelldichein, und dort überkommt sie, was man Schockreaktion nennt. Grauen und Entsetzen über ihre Tat. Und dass ihr Freund sie sitzenließ, gibt ihr den Rest. Vielleicht hat sie ihm gegenüber auch erwähnt, dass sie einen Besuch in Regent Gate beabsichtigte. Sie sieht die drohende Entdeckung, nimmt ihre kleine Dose aus der Tasche… Ah, eine reichliche Menge von dem weißen Pulver, und alles ist vorüber! Und einen solchen Tod zieht sie dem Strick des Henkers vor. Das ist so gewiss wie die Nase in ihrem Gesicht, Monsieur Poirot.«
Zweifelnd strich mein Freund an seiner Nase entlang, dann glitten die Finger abwärts zum Schnurrbart, um ihn mit liebevoller Sorgfalt zu glätten.
»Nichts deutet auf einen geheimnisvollen Drahtzieher hin«, wiederholte Japp. »Noch habe ich allerdings keinen handfesten Beweis für eine Verbindung zwischen ihr und dem Ermordeten – aber das ist lediglich eine Frage der Zeit. Dass Paris mich schwer enttäuschte, will ich nicht leugnen; man darf jedoch nicht vergessen, dass neun Monate eine lange Zeit sind. Und da man die Nachforschungen dort weiter betreibt, ist es nicht ausgeschlossen, dass allmählich doch noch das eine oder
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