Dreizehn Stunden
gewesen war. Es war doch so offensichtlich! Er würde es rauskriegen, er würde sie finden.
Rachel antwortete, indem sie den Kopf langsam hin- und herschüttelte.
Er packte ihre Haare mit eisernem Griff. »Ich werde dir wehtun«, sagte er in seiner sachlichen Art.
»Mir egal.« Sie versuchte, ebenso cool zu klingen wie er.
Er lachte ihr ins Gesicht. »Du hast ja keine Ahnung …«
Egal, dachte sie. Soll er doch lachen.
Er ließ sie plötzlich los und stand auf. »Ihr Gepäck ist noch im Cat & Moose.«
»Wir hätten es längst holen sollen.«
»Aber wir konnten es doch nicht wissen, Steve. Du weißt, was |364| sie im Club gesagt hat. Wo zum Teufel ist eigentlich Barry? Ruf ihn an, er soll ihre Klamotten holen.«
»Sie werden sie uns aber nicht so ohne weiteres geben, Jay.«
Rachel hob den Kopf und sah, wie sie sich anblickten. Es herrschte eine gewisse Spannung zwischen ihnen.
Steve, der Schwarze, nickte schließlich, drehte sich um und ging. Jay sagte zu einem anderen, den sie nicht kannte: »Es gibt
einen Heimwerkerladen einen Block die Straße runter, rechts an der Ecke …«
Er fischte in seiner Hosentasche nach einigen Geldscheinen und reichte sie dem anderen.
»Ich brauche eine Gartenschere. Wir schneiden ihr die Zehen ab. Dann die Finger. Dann die Brustwarzen. Schade um die schönen
Titten.«
Es dauerte eine Weile, bis Fransman Dekker sich dazu überwinden konnte, Michéle Malherbe danach zu fragen, ob sie mit Adam
Barnard geschlafen hatte.
Als sie durch die Bürotür trat, war er so von ihrer Würde überrascht, dass es ihm zunächst nicht auffiel, dass sie kleiner
war, als er gedacht hatte. Sie hatte blonde, kurzgeschnittene Haare und ein attraktives Gesicht. Ihr Alter war schwer zu schätzen,
bis er irgendwann ihre Hände betrachtete und erkannte, dass sie Ende fünfzig, Anfang sechzig sein musste. Sie stellte sich
vor, hörte aufmerksam zu, als er ihr Rang und Namen nannte, und setzte sich schließlich mit einem Ausdruck beherrschter Trauer
auf einen der Besucherstühle. Dekker brachte es nicht fertig, sich an Barnards Schreibtisch zu setzen. Es erschien ihm taktlos
in dieser Situation. Schließlich nahm er auf dem anderen Besucherstuhl Platz.
»Es ist ein schwerer Verlust, Inspekteur«, begann sie, die Ellbogen auf die Stuhllehnen gestützt, die Hände im Schoß gefaltet.
Dekker sah ihr an, dass sie heute schon geweint hatte. Unwillkürlich fragte er sich, wie eine solche Frau mit Barnard hatte
schlafen können.
»Mein Beileid«, sagte er. »Sie haben ihn wohl sehr gut gekannt?«
|365| »Ja, seit fast fünfundzwanzig Jahren.«
»Ich … äh … Mevrou, wie ich gehört habe, kennen Sie die Firma sehr genau, und die Umstände …«
Sie nickte mit ernster, konzentrierter Miene.
»Welchen Grund hätte jemand gehabt haben können …« Er suchte krampfhaft nach einem Euphemismus. »… ihn, äh, ums Leben zu bringen?«
»Ich glaube nicht, dass Adams Tod irgendetwas mit der Firma zu tun hat, Inspekteur.«
»Ach nein?«
Sie hob ihre Hand, eine dezente Geste. Sie trug einen einzelnen, eleganten Ring am Mittelfinger. »Sicher, wir mögen eine sehr
emotionale Gemeinschaft sein. Aber in der Musik geht es nun mal um Gefühle, nicht wahr? Doch im Grunde gibt es keinen großen
Unterschied zwischen der Musikindustrie und anderen Branchen. Wir diskutieren, wir streiten, wir flirten miteinander, wir
bekriegen uns, und manchmal sagen wir etwas, was wir hinterher bereuen, aber das ist doch fast überall so. Der einzige große
Unterschied besteht darin, dass die Medien unsere … Sünden schneller an die große Glocke hängen.«
»Ich glaube nicht, dass ich Sie richtig verstehe.«
»Ich will damit Folgendes sagen: Mir fällt kein einziger Grund ein, warum irgendjemand in unserer Branche Adam hätte ermorden
wollen. Mir fällt auch niemand ein, der dazu in der Lage wäre.«
Dekker holte Luft und setzte zu einer Erwiderung an, aber sie unterbrach ihn erneut mit derselben Geste und sagte: »Ich bin
nicht naiv. Ich habe gelernt, dass unsere Natur uns zu allem befähigt. Aber wenn man ein Vierteljahrhundert lang mit bestimmten
Leuten zusammenarbeitet, kennt man irgendwann alle ihre Seiten und erwirbt eine gewisse Menschenkenntnis, aus der man unter
solchen Umständen schöpfen kann.«
»Mevrou, die Art, wie der Mord verübt wurde … deutet darauf hin, dass es jemand getan hat, der Adams häusliche Umstände sehr
gut kennt.«
Sie wandte den Blick nicht ab. Ihre
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