Dreizehn Stunden
Journalisten, einem Kamerateam von e.tv und der wachsenden Gruppe der Sensationslustigen, die durch deren Anwesenheit
angelockt wurde. Der Lärm schwappte über Griessel hinweg, mächtige Klangwellen, die er körperlich spüren konnte. Zugleich
erkannte er, dass er Alexa so intensiv zugehört hatte, dass er das alles gar nicht wahrgenommen hatte.
Auf dem Bürgersteig vor ihm stand Dekker, offenbar erregt. Er war in eine hitzige Diskussion mit einem glatzköpfigen Mann
verwickelt. Die Auseinandersetzung schien zu eskalieren. Beide wurden laut.
»Nicht, bevor ich nicht bei ihr gewesen bin«, sagte der Mann mit herablassendem Tonfall und aggressiver Körpersprache. Sein
Schädel war ganz und gar glattrasiert. Er war hochgewachsen und sehnig, mit großen, fleischigen Ohren. In einem Ohrläppchen
glänzte ein runder Silberring. Obwohl er Ende vierzig sein musste, trug er ein schwarzes Hemd, eine schwarze Hose und Baseballschuhe,
wie sie bei Jugendlichen angesagt waren. Sein |78| hervorstehender Adamsapfel hüpfte im Rhythmus seiner Worte auf und ab.
Dekker erblickte Griessel. »Er will unbedingt zu ihr«, sagte der Ermittler mühsam beherrscht.
Der Mann ignorierte Griessel. Er öffnete ein schwarzes Etui an seinem dicken schwarzen Gürtel und zog ein kleines schwarzes
Handy hervor. »Ich lasse meinen Anwalt kommen, das ist doch keine Art und Weise!« Er tippte auf seinem Handy herum. »Sie hat
gesundheitliche Probleme.«
»Das ist der Geschäftspartner des Ermordeten, Willie Mouton«, erklärte Dekker.
»Meneer Mouton«, sagte Griessel sachlich. Seine Stimme klang fremd in seinen Ohren.
»Ruhe!«, blaffte Mouton. »Ich telefoniere!« Seine Stimme war durchdringend und schrill wie eine elektrische Säge.
»Meneer Mouton, ich werde nicht zulassen, dass Sie in diesem Ton mit einem Polizeioffizier reden«, sagte Dekker, wobei er
immer lauter wurde. »Und wenn Sie persönliche Anrufe tätigen wollen, dann tun Sie das gefälligst draußen auf der Straße …«
»Das ist ein freies Land, soviel ich weiß.«
»… und nicht an meinem Tatort!«
»An Ihrem Tatort? Für wen halten Sie sich eigentlich?«, blaffte Mouton. Dann sagte er ins Telefon: »Entschuldigung. Könnte
ich bitte mit Regardt sprechen …«
Dekker ging drohend auf ihn zu. Er stand kurz davor, die Beherrschung zu verlieren.
»Regardt, ich bin’s, Willie, ich stehe hier vor Adams Haus mit der Gestapo …«
Griessel legte Fransman die Hand auf den Arm. »Denk an die Kameras, Fransman.«
»Ich tu ihm schon nichts«, sagte Dekker, zerrte Mouton grob von der Vorderveranda und stieß ihn unter dem Klicken und dem
Blitzlichtgewitter der Kameras in Richtung Gartentor.
»Jetzt werden die gewalttätig, Regardt!«, jammerte Mouton schon weniger selbstsicher.
»Morgen, Nikita«, grüßte Professor Phil Pagel, der staatliche Rechtsmediziner, mit amüsierter Miene über den Zaun hinweg.
|79| »Morgen, Professor«, grüßte Bennie zurück und beobachtete, wie Dekker Mouton durch das Gartentor auf den Bürgersteig bugsierte
und dem Uniformierten draußen befahl, ihn auf keinen Fall hereinzulassen.
»Das gibt eine Anzeige!«, keifte Mouton. »Regardt, ich will, dass du die vor Gericht bringst. Komm bitte schnellstmöglich
mit einer einstweiligen Verfügung hierher. Alexa ist da drin, und ich will mir gar nicht ausmalen, was diese Vandalen mit
ihr anstellen!« Er sprach absichtlich laut, damit sowohl Dekker als auch die Medien ihn hören konnten.
Pagel drängte sich an dem Ritter in Schwarz vorbei und ging die flachen Stufen hinauf, seine schwarze Tasche in der Hand.
»Welch ein Meisterwerk war der Mensch?«, fragte er.
»Professor?«, fragte Griessel. Plötzlich war seine innere Abwesenheit gewichen. Er war wieder ganz da und hundertpozentig
klar im Kopf.
Pagel schüttelte Griessel die Hand. »Hamlet. Zu Rosenkranz und Güldenstern, kurz bevor er sagt, der Mensch sei ›eine Quintessenz
des Staubes‹. Ich war gestern Abend in der Vorstellung, höchst empfehlenswert. Viel zu tun heute Morgen, Nikita?«
Pagel nannte ihn schon seit zwölf Jahren »Nikita«, denn als er Griessel zum ersten Mal begegnet war, hatte er gesagt: »So
muss der junge Chruschtschow ausgesehen haben«, wobei Griessel sich zunächst fragte, wer dieser Chruschtschow gleich wieder
gewesen sei. Pagel war auffällig gekleidet wie immer. Er war hochgewachsen, energisch und außergewöhnlich attraktiv für seine
über fünfzig Jahre. Manche behaupteten,
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