Dreizehn Stunden
Allgemeinen von ihrer Tüchtigkeit bedroht und
von ihren moralischen Grundsätzen und ihrer Ehrlichkeit eingeschüchtert. Sie trank nicht, rauchte nicht, fluchte nicht. Sie
nahm kein Blatt vor den Mund. Die SAPS waren kein Ort zum Süßholzraspeln, dafür waren die Aufgaben zu immens und die Umstände
zu schwierig. Sie sprach aus, was sie dachte. Sie kritisierte ihre Überheblichkeit, die zu oft hinderlich war. Ihren ständigen
Sexismus und Rassismus. Ihren Mangel an Arbeitseifer. Ständig hieß es: »Kommt, lasst uns schnell den Grill anwerfen«, oder:
»Lust auf ein Bierchen?«, wie Jungs, die noch nicht erwachsen geworden waren. Zu viel Geschwätz im Büro, über Sport, Politik |253| und Sex. Dann sagte sie geradeheraus, dass sich das nicht gehörte. Und sie hassten das.
Aber Dekker hasste sie noch aus anderen Gründen. Vor ein paar Wochen hatte sie ihn erwischt. Im Flur mit seinem Handy. Als
er glaubte, niemand würde ihn hören, flüsterte er einer gewissen Tamaryn wolllüstige Worte zu, obwohl seine Frau Crystal hieß.
Als er wieder ins Büro geschlichen kam, war sie aufgestanden, hatte sich vor seinem Schreibtisch aufgebaut und gesagt: »Ein
Ehemann sollte seiner Frau treu sein.« Er hatte sie nur angesehen. Sie hatte hinzugefügt: »Betrug hat vielerlei Gestalt.«
Dann war sie gegangen. Seitdem sah sie den Hass in seinen Augen. Weil sie es wusste und verurteilte.
Aber sie war hier um zu arbeiten. Deswegen hörte sie aufmerksam zu. Und sie antwortete ihm auf Englisch, obwohl er Afrikaans
sprach. Denn sie wusste, das hasste er auch.
Rachel Anderson schloss die Badezimmertür hinter sich. Sie musste wirklich dringend. Sie öffnete die Jeansshorts, zog sie
mit Unterhose bis unter die Knie und setzte sich. Die Erleichterung war groß und das Plätschern so laut, dass sie sich fragte,
ob er es hören konnte. Sie sah sich im Badezimmer um. Die Wände waren hellblau, das Porzellan der Einrichtung schneeweiß.
Die alte, restaurierte Badewanne auf Füßen stellte eine unglaubliche Versuchung dar – warmes, schäumendes Wasser, das die
schreckliche Taubheit und die dumpfen Schmerzen aus ihrem Körper vertreiben würde –, aber sie war noch nicht bereit dafür.
Außerdem bereitete der alte Mann eine Mahlzeit zu.
Als sie fertig war, bückte sie sich zum Waschbecken, drehte die Hähne auf, nahm die Seife und wusch sich die Hände, spülte
das geronnene Blut, den Schlamm und den Schmutz darunter, den Felsen, Pflanzen, Wände und Böden hinterlassen hatten. Sie sah
zu, wie das dreckige Wasser ablief. Sie mischte Warm und Kalt in den zusammengelegten Händen und wusch sich das Gesicht. Mit
dem Seifenstück schäumte sie ihre Wangen, ihre Stirn, den Mund und das Kinn ein und wusch sie ebenfalls sauber.
Das dunkelblaue Handtuch war frisch gewaschen und rau. Sie fuhr sich langsam damit durch das Gesicht und hängte es |254| ordentlich wieder zurück. Erst dann sah sie in den Spiegel, aus alter Gewohnheit, fasste automatisch nach ihren Haaren und
strich sie zurück.
Sie sah mitgenommen aus. Furchtbar. Ihre Haare waren schmutzig. Einige Strähnen hatten sich aus dem Zopf gelöst und hingen
ihr um das Gesicht. Ihre Augen waren blutunterlaufen, und um den Mund zeichneten sich Müdigkeitsfalten ab. Ihr Kinn wies einen
Schnitt auf, umgeben von einem hellvioletten Bluterguss. Auch über ihre Stirn zog sich eine dünne, blutige Schramme, wo auch
immer sie sich die zugezogen hatte. Ihr Hals und ihr zartblaues T-Shirt waren verdreckt.
Ich lebe.
Der Gedanke erfüllte sie mit tiefer Dankbarkeit. Dann stiegen plötzlich Schuldgefühle in ihr auf, denn Erin war tot, die liebe
Erin, und die Trauer schwappte über sie hinweg wie eine Flutwelle, abrupt, überwältigend. Diese furchtbare Schande, dass sie
sich über ihr Überleben freuen konnte, während Erin tot war! Sie lockerte ihren Schutzpanzer und ließ zum ersten Mal zu, dass
sie die Geschehnisse noch einmal durchlebte: sie und Erin, die verzweifelt wegrannten. Erin lief vor ihr her. An der Kirche
stützte sie sich mit einer Hand auf der Mauer ab und sprang über die spitzen Gusseisenstäbe. Ein fataler Fehler!
»Nein!«, hatte sie geschrien, war ihr aber blindlings gefolgt und mühelos über die Mauer gesprungen. Erin war stehen geblieben,
auf einem schmalen Weg, der über das Kirchengelände führte, zwischen den tiefen, dunklen Schatten großer Bäume. Rachel hatte
erkannt, dass sie in der Falle saßen. Sie war an
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