Drimaxid 01 - Die Zelle
Angst und die bohrende Unsicherheit zerfraßen sie innerlich. Im Gegenzug besaß sie zu wenig Selbstvertrauen. Sie schluckte krampfhaft und ging dennoch tapfer los.
Wie naiv sie doch ist , dachte Adam traurig.
Eve sagte nicht einmal, dass sie es nicht schaffen würde. Doch sie dachte es. Und das war noch viel schlimmer. Er beobachtete, wie sie einen Fuß vor den anderen setzte und wusste die ganze Zeit, dass sie fallen würde.
Jetzt!
Nein, doch nicht. Sie blieb stehen.
Da! Ein sichtbares Schwanken!
Sie balancierte es aus und ging weiter.
Sie würde stürzen. Es war nur eine Frage der Zeit.
Roland tauchte neben Adam auf. Er hatte seine Prüfung bestanden. Eve hingegen hatte die tödliche Mutprobe erst zur Hälfte hinter sich gebracht. An dieser Stelle war der Sog am schlimmsten. Der Generator, das wachsame Auge, verfolgte jeden ihrer Schritte.
»Reiß dich zusammen«, trieb Adam sie an.
Reiß dich zusammen , so wie sie seine Dunkelangst bekämpft hatte.
Er wollte sie ohrfeigen, aber sie war nicht in seiner Reichweite. Wahrscheinlich litt sie auch an Angst. Höhenangst. Vielleicht fürchtete sie sich aber auch nur davor abzurutschen und zu sterben. Todesangst. Die simpelste Form von Angst, an der wahrscheinlich jeder leidet.
Angst ist gleich Gefühl. Gefühle ist gleich Schwäche. Schwäche ist gleich Tod , hatten die Anweiser dies in einer einfachen Gleichung ausgedrückt.
Eve stürzte. Sie hätte es fast geschafft. Adam streckte ihr bereits die Hand entgegen, um sie zu sich herüberzuziehen oder um sie zu ohrfeigen, damit sie von selber herüberkam. Ihre Fingerspitzen berührten die seinen. Dabei lehnte sie sich ein Stück zu weit nach vorne.
Ich wusste, dass sie fallen würde , bemerkte Adam. Ich wusste es, weil es MEINE Schuld sein würde.
Ihre Beine rutschten ab und sie fiel auf den Hintern. Adam konnte sehen, wie ihre Wirbelsäule zusammengestaucht wurde. Der Sims war zu schmal und sie rutschte ab. Im Fallen drehte sie sich herum und ihre Hände griffen nach dem dünnen Blech. Ein harter Ruck ging durch ihren Körper. Die Kante des Simses schnitt sich in ihr Fleisch. Ihre Beine baumelten gefährlich dicht über dem Generator, der wie ein Fleischwolf aussah.
Schnappt euch ihre Armgelenke , befahl Adam seinen Händen.
Sie gehorchten ihm nicht. Er gefror zu einer regungslosen Eisstatue. Eves Augen blickten ihn voller Angst an. Hinter ihr lauerte das riesige Auge des Generators. Rotierend. Röhrend.
»Adam«, kreischte Eve. »Hilf mir.«
Ihre Kräfte schwanden. Es erinnerte Adam an den Überlebenskampf des armen Kaninchens. Die Beine zuckten, als wollten sie den natürlichen Reflexen nachgehen: Haken schlagen, ausweichen, davonlaufen. Doch das Gift der Schlange lähmte ihn. Die Zuckungen wurden schwächer.
»Adam!«
Der Abgrund würde Eve verschlingen wie die Schlange ihre Beute. Ein schleichender, grausamer Tod. Das arme Kaninchen … Eves linke Hand rutschte ab. Sie hielt sich nur noch mit der rechten fest. Wie lange kann ein Mensch sein eigenes Gewicht mit einer Hand halten?
Adam verfolgte das Schauspiel mit einem gewissen Interesse. Als würde er Eves Todeskampf studieren. Der Mensch bewies im Angesicht des sicheren Todes eine beeindruckende Zähheit. Es gelang Eve die linke Hand wieder am Sims festzuklammern. Sie suchte mit den Beinen Halt, doch die Wand war glatt und frei von jeder Unebenheit.
»Wir sollten ihr helfen«, beschloss Roland.
Wir? , dachte Adam. Ich kann mich nicht bewegen!
»Ich werde es tun«, verkündete Roland.
Er legte sich flach in den Lüftungsschacht und kroch vorsichtig auf den Sims zu. Obwohl er seinen Arm zur Gänze ausstreckte, konnte er Eve nicht erreichen.
Er schafft es nicht! , stellte Adam fest.
Auch Roland spürte es. Statt weiter zu versuchen nach Eve zu greifen, zerrte er das hautenge, schwarze Oberteil über seinen Kopf und warf es in den Generator. Das rotierende Auge verschluckte das Hemd und erstarb mit einem rülpsenden Geräusch. Schwarzer Rauch stieg auf.
Eve ließ sich fallen und landete auf der toten Pupille des Generators. Ihre Arme schmerzten. Sie musste sich einen Moment ausruhen, dann zog Adam sie aus dem Loch heraus. Der Qualm wurde immer dichter. Adam hustete unentwegt.
»Ich danke dir.«
Die junge Frau hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und krabbelte los.
»Ich habe sie gerettet«, murmelte Roland enttäuscht.
Sein Oberkörper war nackt und glänzte vor Schweiß. Er hatte die dünnen, tattooverzierten Oberarme vor seiner
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