Dringernder Verdacht
sehr gern.«
Rhe kam wieder aus dem Kursraum, ihren
Schlüsselbund in der Hand. »Hi, Baby. Ich dachte mir schon, dass du’s bist. Wie
ich sehe, hast du mit Miss Millhone schon Bekanntschaft geschlossen.«
Tippy küsste ihre Mutter auf die Wange.
»Wir haben nur auf dich gewartet. Du siehst müde aus.«
»Es geht mir gut. Wie war’s bei der
Arbeit?«
»Gut. Corey sagt, ich kriege vielleicht
eine Lohnerhöhung, aber nur so was wie drei Prozent.«
»Ubertreib’s mal nicht. Das ist doch
toll«, sagte Rhe. »Wann sollst du Karen abholen?«
»Vor einer Viertelstunde. Ich bin schon
zu spät dran.«
Tippy und ich sahen zu, wie Rhe den
Wagenschlüssel vom Ring abmachte. Dann zeigte sie auf den Parkplatz. »Dritte
Reihe links. Ich will den Wagen um Mitternacht wiederhaben.«
»Aber es ist erst um viertel vor zu
Ende!«, protestierte Tippy.
»Also so bald wie möglich danach. Und
verfahr nicht wieder das ganze Benzin, so wie letztes Mal.«
»Da war er schon leer, als du ihn mir
gegeben hast!«
»Könntest du bitte tun, was ich sage?«
»Wieso? Hast du noch eine
Verabredung?«, fragte Tippy schelmisch.
»Tippy...«
»Ich hab ja nur Spaß gemacht«, sagte
sie. Sie schnappte sich den Schlüssel aus der Hand ihrer Mutter und marschierte
mit klackenden Absätzen über den Parkplatz davon.
»Nett von dir, Mom. Ich hoffe, es ist
dir nicht allzu lästig«, rief Rhe der davonstrebenden Gestalt hinterher.
»Vielen Dank, liebe Mutter.«
»Gern geschehen«, rief Tippy zurück.
Rhe schüttelte den Kopf mit jenem
gespielten Unmut, den nur zutiefst entzückte Eltern an den Tag legen. »Zwanzig
Jahre lang sind sie egoistische Monster, und dann gehen sie weg und heiraten.«
»Sie hören das bestimmt ständig, aber
Sie sehen wirklich nicht aus wie ihre Mutter .«
Rhe lächelte. »Ich war sechzehn, als
ich sie bekam.«
»Sie scheint sehr gut drauf zu sein.«
»Das ist sie auch, dank AA. Da ist sie
mit sechzehn hingegangen.«
»Zu den Anonymen Alkoholikern? Im
Ernst?«
»Sie hat mit dem Trinken angefangen,
als sie zehn war. Ich musste arbeiten, um uns zu ernähren, und die Frau, die
sie betreut hat, war Alkoholikerin. Tipp ist immer nach der Schule hingegangen
und hat sich bei jeder Gelegenheit über ihr Bier hergemacht. Ich hatte keine
Ahnung! Ich Schaf denke, es ist alles prima, weil mein Kind so brav und fügsam
ist. Sie hat sich nie beklagt. Sie hat nie gemault, wenn ich zu spät kam oder
sie über Nacht dalassen musste. Ich hatte Freundinnen, die auch allein
erziehend waren. Bei ihnen war immer die Hölle los. Aber meine kleine Tippy
nicht. Sie war so problemlos. Sie kam in der Schule nicht gut mit und war
dauernd >krank<, aber sonst schien alles bestens. Ich glaube, ich habe es
nicht wahrhaben wollen, denn inzwischen weiß ich, dass sie die Hälfte der Zeit
blau oder verkatert war.«
»Ein Glück, dass sie die Kurve gekriegt
hat.«
»Das hatte auch mit Izzys Tod zu tun.
Es war ein schlimmer Schlag für uns. Dadurch sind wir uns näher gekommen. Wir
haben beide unsere beste Freundin verloren, aber wenigstens hat es uns wieder
zusammengebracht.«
»Wie haben Sie gemerkt, was los war?«
»Sie war an dem Punkt, wo sie so viel
trank, dass es mir gar nicht entgehen konnte. Als sie auf die High School kam,
war sie völlig hinüber. Sie nahm Tabletten. Rauchte Dope. Sie hatte seit einem
halben Jahr den Führerschein und schon zwei Unfälle gebaut. Außerdem hat sie
alles geklaut, was nicht niet- und nagelfest war. Das war in dem Herbst, ehe
Isabelle dann nach Weihnachten umgebracht wurde. Tippy hatte gerade ihr
Junior-Jahr begonnen und schwänzte dauernd den Unterricht und versiebte
sämtliche Klassenarbeiten. Ich kam damit nicht klar. Ich habe sie rausgeworfen,
und sie ist zu ihrem Vater gezogen. Als Iz tot war, kam sie wieder zurück.« Sie
hielt inne, um sich eine neue Zigarette anzuzünden. »Herrje, wieso erzähle ich
Ihnen das alles? Hören Sie, ich muss wieder in meinen Kurs. Würde es Ihnen viel
ausmachen, auf mich zu warten? Ich würde wirklich gern mitfahren, wenn sich das
machen ließe.«
»Sicher. Gern.«
8
Ich fuhr sie nach dem Kurs um halb elf
nach Hause. Die meisten Teilnehmer waren schon um fünf nach zehn verschwunden,
und von dem dunklen Parkplatz ergoss sich ein Schwall von Autos mit
schwenkenden Scheinwerferlichtern und brummenden Motoren. Ich erbot mich, ihr
beim Aufräumen zu helfen, aber sie meinte, es ginge schneller, wenn sie es
alleine mache. Ich wanderte durch den Raum und
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