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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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deswegen gefragt. Es kam mir
irgendwie merkwürdig vor. Nachdem ich beim ersten Prozess ausgesagt habe, bin
ich davon ausgegangen, dass ich auch beim zweiten Mal vorgeladen würde.«
    Ich sah auf Morleys Vermerk, der doch
augenscheinlich besagte, dass ein Gespräch stattgefunden hatte. »Am besten, wir
treffen uns so bald wie möglich.«
    »Bleiben Sie einen Moment dran. Ich
hole eben meinen Kalender.« Sie legte den Hörer hin, und ich hörte das Klacken
von Absätzen auf Hartholz. Dann kam sie wieder, und es raschelte durchs
Telefon. »Heute Nachmittag habe ich keine Zeit. Wie wäre es mit heute Abend?«
    »Von mir aus gem. Wann?«
    »Ginge es um sieben? Kenneth kommt
normalerweise nicht vor neun nach Hause, aber er muss ja nicht unbedingt dabei
sein.«
    »Es wäre mir sogar lieber, mit Ihnen
allein zu sprechen.«
    »Gut. Dann sehen wir uns um sieben.«
    Als Nächstes probierte ich die Klinik,
wo ich an die Anmeldung geriet. Die Stimme, die sich meldete, klang jung.
    »Santa Teresa Medical Clinic, Schwester
Ursa. Was kann ich für Sie tun?«
    Ich sagte: »Ich hätte gern gewusst, ob
bei Ihnen in der Klinik eine gewisse Laura Barney arbeitet?«
    »Mrs. Barney? Klar. Einen Moment, ich
hole sie.«
    Ich wurde kurz auf die Warteleitung gelegt.
    »Hier ist Mrs Barney.«
    Ich nannte meinen Namen und erklärte,
wie schon bei meinem Telefonat mit Francesca, wer ich war und warum ich anrief.
»Können Sie mir sagen, ob Sie in den letzten Wochen mit Morley Shine gesprochen
haben?«
    »Es war so, dass wir für letzten
Samstag verabredet waren, aber er ist nicht erschienen. Ich war sehr ärgerlich,
weil ich extra meine Pläne umgeworfen hatte, um ihn zu treffen.«
    »Hat er angedeutet, was er von Ihnen
wissen wollte?«
    »Nicht konkret, aber ich bin davon
ausgegangen, dass es mit diesem anstehenden Prozess zu tun hat. Ich war mit dem
Mann verheiratet, der im Strafrechtsverfahren freigesprochen wurde.«
    »David Barney.«
    »Genau. Wir waren drei Jahre
verheiratet.«
    »Ich würde gern mit Ihnen reden.
Könnten wir noch für diese Woche etwas ausmachen?« Im Hintergrund klingelte
eindringlich ein anderes Telefon.
    »Ich bin gewöhnlich bis fünf hier. Wenn
Sie morgen um diese Zeit vorbeikommen, müsste es möglich sein.«
    »Halb fünf oder fünf?«
    »Geht beides.«
    »Prima. Ich versuche, um halb fünf da
zu sein. Jetzt lasse ich Sie aber an Ihr anderes Telefon gehen.«
    Sie bedankte sich und legte auf.
    Ich nahm mir meine Liste wieder vor und
rief weitere neun willkürlich herausgepickte Personen an. Niemand hatte
irgendetwas mit Morley Shine zu tun gehabt. Das sah nicht gut aus. Ich rief Ida
Ruth im Vorzimmer an. »Ist Lonnie noch auf dem Gericht?«
    »So weit ich weiß, ja.«
    »Wann kommt er wieder?«
    »Zu Mittag, hat er gesagt, aber
manchmal stürzt er ja statt mittagzuessen auch gleich in die juristische Bibliothek.
Wieso, was ist? Soll ich ihm etwas ausrichten?«
    In meiner Brust verdichtete sich ein
ungutes Gefühl. »Ich geh besser selbst rüber und rede mit ihm. Welcher Saal,
hat er das gesagt?«
    »Richter Whitty, Abteilung fünf. Was
ist los, Kinsey? Sie klingen so seltsam.«
    »Erzähl ich Ihnen später. Ich bin noch
nicht ganz so weit.«
    Ich ging die zwei Straßen hinüber zum
Gericht. Es war ein klarer, sonniger Tag, und ein leichter Wind zauste den
Rasen um das Gerichtsgebäude. Das Gebäude ist im mediterranen Stil errichtet,
mit Türmchen, Sandsteinbögen und offenen Galerien. Die Anlagen ringsherum
bestehen aus einer bunten Mischung aus magentaroten Bougainvillea, roten
Flaschenputzern, Zederzypressen und importierten Palmen. Ein Saum von
Bodendeckern am Rand des Gehwegs verströmte einen schweren Duft.
    Ich ging die breiten Betonstufen
hinauf, durch die dekorative Holztür. Der Flur war leer, der Boden mit
glänzenden, unregelmäßigen Steinfliesen in der Farbe von geronnenem Blut
ausgelegt. Die hohen Decken waren von Hand mit einem Schablonenmuster verziert
und von dunklen Balken durchzogen. Die Beleuchtung bestand aus imitierten
schmiedeeisernen spanischen Laternen, und die Fenster waren mit stabilen
Gittern gesichert. Das Ganze hätte ein ehemaliges Kloster sein können, überall
kühle, schmucklose Flächen. Als ich vorbeiging, öffnete sich die Tür zum
Geschworenenzimmer, und die Laienrichter strömten hinaus auf den Flur und
erfüllten ihn mit Fußgetrappel und Stimmengemurmel. Gleich darauf hörte ich das
Quietschen der Klotüren in den Toiletten auf der anderen Seite des Flurs.
Abteilung fünf

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