Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)
befand sich seine »Livemoderation« fürs Gäubodenfest, Niederbayerns größtes Volksfest in Straubing. Von dort wollten wir am Freitag live berichten. Nur: Hansi Thaler wollte gar nicht nach Straubing. Hansi wollte zu Anni. Aber, und das war der Plan: »Meine Alte soll glauben, dass ich in Straubing bin, verstehst?«
Hansi gab mir das Band: »Hier habt ihr meine Moderation für den Anfang und für das Ende der Sendung. Darunter legt ihr Blasmusik …«
Auch die Ü-Wagen-Besatzung wusste Bescheid. Wir haben das originalgetreu zusammengeschnitten mit dem vorschrifts mäßigen Defiliermarsch am Anfang, dann die Stimme unseres abwesenden Freundes: »Grüß Gott, hier ist das Ostbayern-Journal mit Hansi Thaler. Ich begrüße Sie heute vom Gäubodenfest in Straubing. Durch die Sendung führt Sie Waldemar Hartmann.«
Dann ich mit meiner Sendung und am Schluss meine Über gabe: »Das war’s dann von hier, zurück zu Hansi Thaler«, der sich von seinen Zuhörern aus Straubing verabschiedete – »Das war’s dann live vom Gäubodenfest in Straubing« –, während er sich live mit seiner Anni vergnügte.
So wird manchmal gelogen im Radio …
8
MEIN SOHN, DU MUSST DAS SCHAFFEN
Wie ich Nachrichtenmoderator
im Fernsehen wurde
Meine erste kleine Geschichte für den Bayerischen Rundfunk, Abteilung Radio, habe ich 1976 abgeliefert. Der Redaktionsleiter des BR -Regionalprogramms Schwabenspiegel , auch wieder ein Stammgast in meiner Kneipe – meine Geschäfte liefen grundsätzlich immer an der Theke –, kam irgendwann zu mir, weil ihm gefiel, was ich für die Zeitung schrieb. Und forderte mich auf, mach doch mal was für uns.
Also machte ich was für ihn. Das erste Stück war eine Vorschau auf das Zweitligaspiel 1860 gegen FC Augsburg. Ich habe die ganze Nacht getextet, gewerkelt und getimed. Das lief gut, also habe ich danach immer freitags die Regionalsportvorschau fürs Wochenende gemacht. Und plötzlich war ich für ein paar Leute im Hörfunk der bunte Hund, der schräge Vogel, der lustige Wirt aus Augsburg, etwas völlig Ungewöhnliches. Doch wie wird man vom DJ und Wirt zum Journalisten? Passt das zusammen?
Es passt.
Mein Vorteil: Mikrofonangst kannte ich nicht. Ich war ja bereits zu einer Zeit DJ , als man noch babbeln musste. Ich musste damals schon Stimmungen abschätzen und einen stän digen Kampf gegen die Kellner führen. Denn: Mein Ziel war es, die Tanzfläche vollzukriegen. Die Kellner dagegen wollten, dass sich die Leute hinhocken und trinken. Und da musst du ganz genau wissen, was du spielst, auch mal einen Walzer oder einen Schmuser oder doch besser Rock ’n’ Roll und Fox?
Als Discjockey musste ich die Sensoren ausfahren: Wie sind die Leute drauf, was passt grad? Ich musste die Stimmung erschnuppern, die Vibrations spüren. Das war für mich die beste Schule, die ich haben konnte, auch in der Kneipe. Ich war der Erste, der gekommen ist, und der Letzte, der gegangen ist. Wenn ich einmal die Schnauze voll hatte, konnte ich nicht einfach aufstehen und gehen. Ich musste immer den Rücken des letzten Gastes sehen.
Ich habe meine Gäste nüchtern erlebt, ich habe sie besoffen erlebt, glücklich und verzweifelt, mit Geld um sich werfend und pleite, mit der eigenen Frau und der Freundin, aggressiv und sentimental. Ich habe sie in allen nur denkbaren Lebenslagen erlebt. Das gibt’s nur beim Wirt. Da bist du Beichtvater, Bankdirektor, Bewährungshelfer und was weiß ich noch alles.
Du musst merken, wenn es irgendwo im Laden brandelt, wenn nur noch ein Funke fehlt, und es gibt eine Explosion. Du musst auf den Tisch hauen können oder auch mal zuschlagen, was durchaus passiert ist. Du musst bereit sein, notfalls den Erstschlag auszuführen, wenn es gar nicht anders geht. Aber in aller Regel musst du ein Meister der Deeskalation sein – denn du willst ja nicht, dass sie dir den Laden auseinandernehmen.
Du musst immer hellwach sein, immer spechten, was sich tut, du bist latent in einer Beobachtungssituation. Was auch für einen Journalisten nie verkehrt ist. Meine Zeit als DJ und als Wirt war die beste Schule fürs Leben. Und für den Journalismus. Das war eine profunde Ausbildung für das Erkennen von Situationen, für den Umgang mit Menschen. Das lernst du auf keiner Journalistenschule der Welt. Und das Wichtigste: Ich war live-sicher.
Die meisten meiner Kollegen fühlten sich auf dem gepolsterten Sessel hinter der Glasscheibe im Studio wohl. Das war nicht meins. Da hatte ich am Anfang einen Knödel im
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