Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)
zur Zeugnisverteilung antreten. Er hatte das Ganze auf dem Fernseher in seinem Büro verfolgt, war anscheinend leidlich zufrieden und grummelte: »Gut, dann kann man Sie das gleich nächste Woche machen lassen.« So kam der Hartmann ins Fernsehen, erst einmal als braver Nachrichtenvorleser in der Anti- Tagesschau des Bayerischen Fernsehens.
Ich war nicht der einzige Castingkandidat. Eine ganze Hand voll mehr oder weniger hoffnungsvoller junger Fernsehgesich ter durfte probeweise die dritte Abendausgabe der Rundschau präsentieren, darunter auch Günther Jauch. Kurz nach Mitternacht, als eh niemand mehr zuschaute, konnte man einigermaßen gefahrlos ausprobieren, ob wir unter Umständen kameratauglich waren.
Derjenige, der nach dem Großcasting übrig blieb, war aber nicht Günther Jauch, sondern ich. Dass Günther Talent hatte und ein aufgewecktes Kerlchen war, war zwar offensichtlich – aber er schaute halt mit seinen dreiundzwanzig Jahren geradezu dramatisch jung aus. Wenn der Nachrichtensprecher bei den Zuschauern mütterliche oder väterliche Gefühle weckt, ist das nicht der Weisheit letzter Schluss. Bei den Verantwortlichen war man sich einig: Du kannst doch einen Nachrichtensprecher, der ausschaut wie ein Bub, der für den Zebrastreifen noch einen Schülerlotsen braucht, nicht die Welt erklären und das Erdbeben in Agadir mit 18000 Toten verkünden lassen. Das glaubt dem keiner. Da denken die Leute ja, sie sind beim Kinderprogramm gelandet. Günthers Fernsehkarriere musste noch warten.
Mir hat die Rundschau Spaß gemacht und manchmal sogar mehr, als eigentlich vom Intendanten erlaubt war. Im Nachhinein muss ich zugeben: Die Einschaltquote und die beschwingte Stimmung des Moderators Hartmann in der Rundschau -Nachtausgabe lagen manchmal ziemlich gleichauf bei rund 0 , 8 Promille. Man musste doch arg lange warten bis Mitternacht – also ließen wir in der BR -Kantine mit den Kollegen die Spielkarten kreisen. Und manchmal auch die 1 , 5 -Liter-Lambrusco-Flasche mit Schraubverschluss. Nicht unbedingt eines der herausragenden Erzeugnisse des italienischen Winzerwesens, aber fürs Moderatorenglück Anfang der Achtziger vollständig ausreichend.
Der Fernsehalltag vor dreißig Jahren sah so aus: Wer die Rundschau -Nachtausgabe moderierte, beendete auch das Programm. Damals gab es noch kein Nachtprogramm und keine Spacenight oder nackte Reckturnerinnen auf Sport 1 . Nach der letzten Rundschau kamen bloß noch die Bayernhymne, die Deutschlandhymne und dann das Testbild. Gute Nacht, schönes Bayernland! Und weil der Sendeschluss vor der Tür stand, musste man als Rundschau -Nachtausgaben-Moderator immer am Schluss das Sprüchlein aufsagen, das einem die Sendeleitung jeden Tag aufgeschrieben hat: »Damit, meine Damen und Herren, ist das Programm des Bayerischen Fernsehens beendet. Wir zeigen Ihnen zum Abschied noch eine Ansicht von (dann kam ein zünftiges bayerisches Dia, beispielsweise eine Dorfansicht von Schnapslhausen). Ich verabschiede mich und wünsche Ihnen eine gute Nacht.« Lange Zeit hieß es danach weiter: »Und jetzt noch unser Programm von morgen zum Mitschreiben.«
Weil ich das nie verstanden hatte – wer schreibt denn schon das Fernsehprogramm mit? –, habe ich mich irgendwann erkundigt und erfahren: Das war für unsere Brüder und Schwestern im Osten, die natürlich keine Westfernsehzeitschriften hatten. Wieder was gelernt.
Jedenfalls habe ich die tägliche Abschiedsfloskel nach einem beschwingten Abend in der Kantine manchmal ein bisserl extemporiert und zum Beispiel einmal gesagt: »Ich wünsche allen Herren eine erfolgreiche Nacht.« Das war quasi eine Abwandlung des klassischen Nachrichtenversprechers: »In der Nacht Bevölkerungszunahme«, der schon einigen Kollegen passiert ist.
Hui, da war aber was los! Es hatte also doch jemand zugeschaut, wer hätte das gedacht? Und zwar der gefürchtete Sprachpfleger Dr. Schmidt, der lange Jahre im Auftrag des Bayerischen Rundfunks darauf achtete, dass sich die Moderatoren anständig ausdrücken – der hat meinen leicht schlüpfrigen Nachtausflug den hohen Herren gesteckt. Glücklicherweise blieb mein Chef entspannt und erklärte: »Herr Dr. Schmidt, ich verstehe Sie. Aber der Hartmann war mal Wirt, und der verabschiedet seine letzten Gäste halt anders als ein normaler Fernsehansager.« Man beachte: Ich war damals schon kein »normaler Fernsehansager«.
Keinen Ärger gab es dagegen um den bobfahrenden ungarisch-rumänischen Tennisspieler Csaba
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