Drop City
übermenschliche Fähigkeiten besaß, und Roy Sender war diese Strecke immerhin bis zum Alter von Einundsiebzig regelmäßig abgegangen. Roy hatte ihn damals unter seine Fittiche genommen, hatte ihm gezeigt, wie man die Fallen für die verschiedenen Tiere präparierte, wie man einen Schlitten aus Birkenholz von fast drei Meter Länge, aber kaum breiter als die eigenen Schultern, baute, wie man Luchsen, Füchsen und Hermelinen den Pelz abzog und wahre Stinkbomben von Ködern zurechtmachte, die jedes Raubtier im ganzen Land neugierig schnuppern und die Ohren aufstellen ließen. Roy war Junggeselle – ein Sonderling, unberechenbar wie ein alter Ford, der nur auf vier Zylindern lief –, und er hatte ihn auf jedem Schritt des Wegs angeschnauzt und beschimpft, ein Mann, mit dem nie eine Frau ihre Zeit hatte vergeuden wollen, und er lebte wirklich wie ein alter Kauz, igelte sich den ganzen Winter in seinem Blockhaus ein und verbrachte die Zeit damit, seine Sachen zu ordnen und den Wohnraum so behaglich und ordentlich herzurichten wie in einer gemütlichen Salonkajüte auf einer Segelyacht voller blankpoliertem Edelholz. Und Sess hatte zu Füßen dieses kauzigsten aller Käuze gesessen, froh über seine grantige Gegenwart, und während die Monate über den Horizont davonschwebten und sie irgendwann in Jahreszeiten und dann in Jahren zählten, war der alte Mann mit ihm warm geworden.
»Wieso baust du dir nicht was da unten an der Mündung des Flusses?« hatte er in einer Frühlingsnacht gefragt, in der der Schnee herunterkam wie Konfetti und Sess hinter dem Haus in einem Zelt campierte. »Gibt doch genug Platz für dich, die Schneehasen kommen gerade in ihre große Zeit, wie alle zehn Jahre, also gibt’s genug Pelze für jeden, wenn überhaupt noch wer welche haben will. Teufel noch mal, ich muß dir ja nicht erzählen, daß ich nicht mehr ganz der alte bin, kannst du mir folgen? Ich hab schlimme Knie, Rückenweh, und meine Lunge fühlt sich dauernd an, als wenn ich gleich ertrinke, Scheiße noch mal – ist eben der Preis des Altwerdens. Und dann denke ich an die viele harte Arbeit, die ich in dieses Land reingesteckt hab, und wär doch schade, wenn das alles umsonst war.«
Das war Roy Sender, sein großer Segen. Und jetzt an ihn zu denken, hier in dem Blockhaus, das aus jener beiläufigen Aufforderung damals in der Schneenacht entstanden war – hier mit seiner Frau, mit Pamela –, das erfüllte ihn mit einer so glasklaren Emotion, daß er nach Atem ringen mußte. Auf einmal wurde er sentimental, seine Seele war halbvoll mit Kummer und halbvoll mit Glück. Auf einmal war er besoffen.
Pamela war dicht bei ihm, saß am Tisch und hielt das Kinn auf zwei Fäuste gestützt, und auch ihr Blick glitt langsam ins Leere. Etwas raschelte im Gebüsch draußen im Garten, und die Hunde waren es nicht – die Hunde würden nie wieder rascheln. Er goß sich noch ein Glas Rum ein, riß ein Streichholz an und ließ die blaue Flamme darüber flackern, ehe er es ex trank. Die Nacht war mild, immer noch mild, und die Moskitos hielten sich vielleicht an eine Art Hochzeitswaffenstillstand, war doch möglich, dachte er. Verdammt anständig von ihnen. Daran sollte er denken, wenn er das nächstemal ein halbes Dutzend auf seinem Unterarm oder an der Schläfe erschlug – leben und leben lassen, was? »Pamela«, sagte er, und ihre Augen klappten wieder auf.
»Ich bin betrunken, Sess«, sagte sie. »Ich schätze, ich hab mich einfach betrunken.« Und dann lächelte sie, ein langsames, erschöpftes, seliges Lächeln. »Das ist deine Schuld. Einfach ein Mädchen hierher zu verschleppen und sie betrunken zu machen. Ich wette, jetzt glaubst du, ich wär leicht zu haben, was?«
Er lächelte zurück, griff nach ihrer Hand und umschloß sie mit seiner. Er wollte nicht mehr reden, diese Energie hatte ihn jetzt verlassen, er wollte ihr nicht mehr von dem Gefühl erzählen, als er die Strecke zum erstenmal gegangen war und in einer Doppelmaulfalle für Füchse einen Wolf gefunden hatte, wie ein großer Hund, gefangen an seiner halb abgenagten Pfote, und wie der ihn aus seinen gelben Augen angesehen hatte, als könnte er nicht begreifen, wie das Land sich auf diese kalte, unnatürliche Weise gegen ihn wandte, und wie es gewesen war, als er ihn erschoß und zuerst nicht traf und dann wieder und wieder schießen mußte, bis der Pelz ruiniert war und fünfzig Kilo wildes Leben zu seinen Füßen ihr arterielles Blut verspritzten, oder wie Roy Sender ihm
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