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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Wann stand so etwas eigentlich auf dem Programm? Marco war geschafft. Und deprimiert. Seine Kehle war heiser. In der Tasche hatte er sechzehn Dollar siebenundachtzig, und wenn die ausgegeben waren, gab es nur noch die liebe lange Warterei auf Essensmarken und Sozialhilfe und was diese großzügige, großartige Gesellschaft so auszuteilen bereit war – und wie sollten die Schecks vom Sozialamt sie da draußen im Busch erreichen? Gab es Postboten auf dem Yukon? Paketzustelldienste? Brieftauben? »Ich mach mir keine Sorgen«, wiederholte er.
    Ein paar Sitznischen weiter stand Norm schwankend über den Resopaltischen, viel zu aufgedreht zum Hinsetzen, und schaufelte sich mit der Gabel überbackene Makkaroni und Waldorfsalat hinein, die Augen vor lauter Schlafentzug tief im Schädel versunken, und trieb sie alle an, endlich aufzuessen, in die Gänge zu kommen. »Noch zweihundertsechzig Kilometer«, rasselte er, »keine vier Zentimeter auf der Karte. Das ist alles, Leute – wir sind praktisch zu Hause. Könnt ihr ihn schon riechen? Riecht ihr den Fluß?«
    Niemand roch irgend etwas. Ihre Kiefer mahlten über blitzendem Grinsen. Es war ein feierlicher Moment, und dabei beobachtet wurden sie von einem Koch, der unter Schock stand, und einer benommenen Kellnerin in Faltenrock und Bluse mit aufgestickten Rodeomotiven am Kragen. Und was machte es schon, daß Fairbanks genauso aussah wie ein Straßenkilometer aus einer beliebigen Industriestadt irgendwo in Amerika, wie Detroit oder Albany oder Akron, Ohio, exakt wie all die Kaffs, aus denen sie abgehauen waren? Sie waren da. Sie waren in Alaska. Das Ende des Wegs war in Sicht.
    Norm reichte der Kellnerin seinen Teller, und seine Leute entfernten sich widerstrebend von der Theke, den Restauranttischen und den überlasteten Klos weiter hinten. »Drop City Nord, Leute!« sagte er und breitete die Arme aus, um sich an den gesamten Raum zu wenden, darunter auch an eine Indianerin, die in einer Ecke hinter einem Taschenbuch kauerte, und an zwei Einheimische mit roten Ohren, die über ihren Kaffeetassen hockten und die Wand hinter dem Tresen anstarrten, als stünden dort alle Geheimnisse des Universums in kleinen Buchstaben geschrieben. »Das Land der Mitternachtssonne!« Von da, wo er mit Star saß, fühlte sich Marco irgendwie von der Szene ausgeschlossen. Da fuchtelte Norm, dieser Guru wider Willen, beschwörend mit den Armen – der blasse, schlaffe Norm, der nie irgendwen anführen wollte, fuhrwerkte hier wie ein Wilder in einem Frittenladen herum, der das Ende der Welt wie ein ganz passables Reiseziel aussehen ließ. Marco schämte sich für ihn, schämte sich für alle, und der gewaltige Optimismus, der ihn seit Northway Junction hatte lodern lassen, war inzwischen nur noch Glut. Das alles war verrückt, reinste Donquichotterie war das Ganze. Wenn sie hier oben auch nur einen Monat lang durchhielten, wäre das schon ein Wunder.
    Auf der Straße teilte er sich eine Zigarette mit Star, alle wuselten durcheinander, als wären sie hergekommen, um in der Sonne herumzuhängen, hier auf den Gehsteigen einer geduckten Wildweststadt, der es irgendwie gelang, zugleich vor- und postindustriell auszusehen mit ihren windschiefen Wellblechbaracken, den ausgewaschenen Ziegelwänden und verrosteten Fertigbau-Lagerhallen, die über die flache Landschaft robbten wie verwundete Soldaten. Pan und Lydia hockten auf der Haube des Studebaker, aus dessen Radio in blechernen Fetzen Top-40-Hits ertönten, wie man sie ebensogut in Tuscaloosa oder Sioux City hätte hören können, während Verbie und ihre Schwester sich zischelnd wegen irgendwas stritten. Das Klo im hinteren Teil des Lokals wurde immer noch von Leuten in Beschlag genommen, und ständig ging irgendwer zurück, um sich Zahnstocher, Pfefferminzbonbons oder Kaugummi zu kaufen – Hauptsache, man konnte die Abfahrt des Busses noch ein Stück hinausschieben –, aber dann ergriff Norm Premstars Hand und kletterte die abgelatschten Metallstufen hinauf, und plötzlich kamen alle hinterher. Er zählte kurz durch, der Motor erzitterte mit einem scharfen Spotzer aus verbrauchtem Diesel, dann rollte der Bus ruckend los und fuhr in einer Qualmwolke davon.
    Sie ratterten durch die öden Straßen des Zentrums, überquerten den Chena River und nahmen den Steese Highway, alle waren randvoll mit überteuertem Billigessen, nichts als Fett und Glukose und Phosphate, die ihnen jetzt durch den Kreislauf rumorten wie der Tod auf Raten. Zigaretten gingen von

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