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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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fertig geworden. Und Ronnie? Ronnie war Ronnie, kein Streß. Star selbst beließ es bei eine bißchen Theaterschminke – Peace-Zeichen auf beiden Backen und ein drittes Auge, komplett mit Lidschatten, mitten auf die Stirn gemalt.
    Es war wohl schon halb neun oder so, als Reba hereinkam und ein paar Kerzen entzündete und ein Tablett mit zwei Kannen Kamillentee und Keramikbechern auf dem großen Tisch in der Küche abstellte. Das war das Signal, jedenfalls verstand Star es so, und sie setzte sich neben Marco, Ronnie, Merry und Lydia auf den Fußboden, doch es dauerte noch eine weitere halbe Stunde, bis Norm Sender und Alfredo hereinkamen und Alfredo ein altes Zirkusmegaphon an die Lippen hob, um zu intonieren: »Also gut, Leute, also gut – könnte ich einen Moment lang um eure Aufmerksamkeit bitten ... Und wir werden das hier so schmerzlos wie möglich ablaufen lassen, ich versprech’s euch ...«
    Star fühlte sich gut – geradezu großartig –, als sie in die Kissen sank und Marco den Arm um sie legte und einer der hellbraunen Hunde sich quer durch den Raum schlängelte, um sich neben ihr einzurollen und den großen hellbraunen Kopf auf ihr Knie zu legen. In diesem Augenblick schien alles zusammenzulaufen, alle Fasern ihres Lebens, das Zerren zwischen den gegensätzlichen Polen: Ronnie, Marco, der Freak im Tipi, ihre Eltern und der Job und das Auto und das Zimmer, das sie zurückgelassen hatte, weil jetzt das hier ihre Familie war, weil sie hierhergehörte. Sie streckte die Beine aus und starrte nach oben in die Spinnweben, die an der Decke schwebten wie Miniaturwolkenbänke und einigen Weberknechten das Leben schwermachten. Bis Drop City hatte sie nie irgendwo hingehört.
    Wer war sie denn in der Schule gewesen? Eine kleine Miss Niemand. Den Titel hätte sie sich auf die Pullis sticken und quer über die Stirn tätowieren können. Und in kleineren Buchstaben darunter: Ich bin ein Stück Scheiße, trampelt auf mir herum. Bitte! Im Jahrbuch ihrer Highschool wurde nicht sie zur witzigsten Schülerin gewählt oder zur besten Tänzerin oder zum vielversprechendsten Talent, sie war weder in der Band noch in der Spanisch-AG, und als ihr Jahrgang nach zehn Jahren ein Wiedersehenstreffen veranstaltete, da konnte sich kaum jemand an sie erinnern. Die Typen bemerkten sie allerdings sehr wohl. Im College jedenfalls. Und wie sie sie bemerkten: in den Korridoren und der Cafeteria und in der Stadt, in den klaustrophobischen Gängen des Plattenladens – und in ihren Augen glitzerte die Begierde und eine animalische Raubgier, deren sie sich nicht einmal bewußt waren. Mit ein paar von ihnen ging sie aus, aber einen richtigen Freund hatte sie nie, und obwohl sie hübsch war – sie wußte, daß sie hübsch war –, kapierte sie nie, warum das eigentlich so war, außer daß irgend etwas nicht zusammenpaßte, so als wäre sie in der falschen Epoche und am falschen Ort geboren. Daran lag es, beschloß sie, und dieser Gedanke tröstete sie durch alle Enttäuschungen und die klischeehaften Abläufe der Tage und Monate und Jahre hindurch. Sie ließ die banalen Pädagogikvorlesungen und Grundkurse in Psychologie über sich ergehen, machte sich mit den sechs Hauptursachen für den Ersten Weltkrieg sowie mit Algorithmen und der inneren Anatomie des Regenwurms vertraut, obwohl sie immer ahnte, daß da noch mehr sein mußte.
    Sie bekam den Abschluß, legte Make-up auf und begann, an derselben Grundschule, auf die sie zehn Jahre zuvor gegangen war, eine dritte Klasse zu unterrichten, dabei bewohnte sie das Mädchenzimmer im Haus ihrer Eltern wie ein Fall von Entwicklungsstillstand, und jedermann sagte, sie sei ihrer Mutter so ähnlich, denn die war Lehrerin in der Vorschule und trug immer putzige Hosenanzüge und malvenfarbene Blusen mit Peter-Pan-Kragen in Kindergrößen, und das tat Star ebenfalls. Aber sie wollte nicht ihrer Mutter ähneln. Wenn sie abends heimkam, knüllte sie ihre Strumpfhose in dem Kindergrößen-Hosenanzug zusammen, schleuderte beides in die Ecke ihres Zimmers und legte sich ausgestreckt auf den Boden, an jedes Ohr einen Lautsprecher gepreßt, und starrte auf die Flecken und Wirbel der dreimal gestrichenen Zimmerdecke, während Janis Joplin loslegte und durch die donnernden Akkorde von »Ball and Chain« glitt. Ihre Mutter plapperte unentwegt beim Abendessen, die Spitzengardinen aus Connemara hingen leblos am Fenster, ihr Vater bewachte seinen Teller, als wollte ihn ihm jemand wegnehmen. Was macht denn Tommy

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