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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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bißchen funktionierte? Er spürte seine Zehen nicht mehr. Die Holzperlenkette unter seinem Hemd fühlte sich an wie lauter Eiskügelchen. Eine kalte, klare Flüssigkeit tropfte ihm aus der Nase und befeuchtete den Rücken der Handschuhe. In seiner Verzweiflung schlang er sich die Arme um den Körper und zitterte dabei so heftig, daß er glaubte, gleich würden sich die Zahnfüllungen lockern.
    Neben ihm saß Joe wie ein Klotz. Seine massigen Schultern wirkten noch massiger durch das aufgeplusterte Daunenfutter des Parkas. Er hielt einen behandschuhten Finger auf dem Steuerknüppel, starrte durch die Windschutzscheibe oder warf einen gelangweilten Blick zur einen oder anderen Seite hinunter und schien ebenso unbeeindruckt von dem heulenden arktischen Orkan in seinem Gesicht wie ein Eisbär, der es sich auf einer treibenden Scholle im Nordmeer gemütlich gemacht hat. Seit einer Viertelstunde hatte er kein Wort gesagt – oder geschrien –, aber Pan erwartete auch nicht unbedingt Unterhaltung. Also litt er schweigend vor sich hin, dachte jetzt nur noch an das Blockhaus, an das sanfte Gleiten der Kufen auf dem verschneiten Eis des Bachs – nur noch landen und raus aus dieser Folterkiste – und an das Feuer, das er im Ofen anwerfen würde. Er griff nach seinem kleinen Rucksack auf dem Rücksitz und zog die silberne Taschenflasche heraus.
    Die Flasche enthielt Hudson-Bay-Rum, also im Prinzip dieselbe Scheiße wie der Bacardi 151, den sie im Surf ’n’ Turf immer zum Flambieren genommen hatten – es schmeckte grauenvoll, wie Petroleum, aber es erfüllte seinen Zweck: es wärmte. Brannte zwar im ganzen Körper, vom Gaumen bis zum Hintern runter, und er mußte gleich wieder an Mr. Boscovich denken, wie der an der Tafel den menschlichen Verdauungstrakt skizziert hatte: Neun Meter lang , hatte er herausposaunt, in seinem komischen Singsang, und wer kann mir sagen, wieviel Fuß das sind? Pan lachte kurz auf bei der Erinnerung, dann schraubte er den Verschluß ab. Er hob die Flasche an die Lippen, gerade als die Maschine kurz ruckte und sich dann wieder beruhigte, so daß ihm etwas Rum in den Bart lief, aber es wirkte – auch wenn das Zeug derart feuerte, daß er sich aufs Brustbein klopfen mußte, um es nicht gleich wieder auszuspucken –, und dann tippte er Joes Arm an, um ihm pantomimisch die Flasche anzubieten. »Auch einen Schluck?« brüllte er.
    Joe warf ihm einen langen Blick zu, als müßte er ihn erst einordnen, als hätten sie nicht die vergangenen dreieinhalb Monate in derselben Blockhütte gelebt und den größeren Teil des Tages gemeinsam im Flugzeug gesessen, dann schüttelte er langsam den Kopf und stopfte das Loch in der Mitte seines Vollbarts mit einem traurigen Lächeln. »Nicht wenn ich fliege«, brüllte er zurück.
    »Nicht mal einen ganz kleinen?«
    »Führe mich nicht in Versuchung.«
    Sie waren auf dem Rückflug von Ambler am Kobuk River, wo sie bei einer Baracke auf einer kleinen Insel etwas außerhalb des Orts gelandet waren, um acht Kisten mit Bourbon, Rum und Wodka auszuladen, die sie drei Tage vorher in Fairbanks gekauft hatten. Die Baracke stand etwas windschief auf unsicheren Stützen und sah total trist und verlassen aus, aber im Innern drängten sich die Menschen von Wand zu Wand und feierten eine Party, und das kam echt überraschend. Sie hatten ihn aus tiefliegenden Augen betrachtet – und allesamt, Männer wie Frauen, hatten dasselbe Gesicht, ein Gesicht, wie es Dschingis Khan aufgesetzt haben mußte, nachdem er damit fertig war, eine entlegene Siedlung zu erobern, alle Frauen dort zu schänden, die Hunde zu verputzen und auch noch den letzten Tropfen destillierten Reisschnaps zu kippen. Aber es war cool, denn sie hatten lange Haare und brachten die Zeit hauptsächlich damit zu, so high wie nur möglich zu sein, und zwar von allem, was sie in die Finger bekamen, und von Angestelltenjobs, Krawatten, Wall Street und Mr. Jones hatten die alle noch nie gehört . Sie jagten immer noch Karibus, wenn im Herbst die Herden den Fluß durchquerten, obwohl sich die Jagd darauf beschränkte, einfach in einem Boot mit flachem Kiel auf die Tiere zuzugleiten, wenn sie im Wasser und daher hilflos waren, und sie aus nächster Nähe mit der Pistole abzuknallen, außerdem besaßen sie alle Schneemobile und Außenborder und kauften ihre Kleidung aus dem Katalog. Aber sie aßen Karibuzunge und Eskimo-Eiscreme (ausgelassenes Karibuschmalz, das mit einer halben Tonne Zucker und ein paar säuerlichen Beeren

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