Drop City
wiedererlangte, falls er das Bewußtsein wiedererlangte, am Leben blieb, bis der irre George und Alfred und Mendocino Bill und die übrigen – zum Beispiel Reba – ihn einsammeln konnten.
Das war sein Plan. Es war ein einsamer Plan, ein beinharter Plan, aber so würde alles in Ordnung kommen. Das Feuer schlug die Nacht zurück. Die Kälte wandte sich ab und wich in das Dunkel zurück, und wenn er auch seine Füße immer noch nicht spürte, so hatte es doch in den Fingern zu kribbeln begonnen, was ein gutes Zeichen sein mußte. Wenn die Körpertemperatur abfiel, opferte das Blut die Extremitäten und speiste lieber die inneren Organe stärker, um die Maschine am Laufen zu halten, auch nur eine Überlebenstechnik – wo war übrigens dieser Bär jetzt, dem er das Ohr abgeschossen hatte? Im Winterschlaf, so wie die Maulwürfe und alle sonstigen Nagetiere, was eine andere Möglichkeit des Überlebens darstellte. Aber er fühlte seine Finger, und das bedeutete, daß sie keinen Schaden erlitten hatten, jedenfalls nichts Schlimmes – lieber wäre er tot, als so herumzulaufen wie Billy Bartro von seiner Highschool damals, mit drei Fingern an einer Hand und zwei verätzten Stummeln an der anderen, weil er im Keller eine Rohrbombe basteln wollte, und nun konnte er den Rest seines Lebens taubenblaue Golfhandschuhe tragen, wie ein lächerlicher Butler in einem englischen Roman. Nein, er war in Ordnung. Alles war cool.
In diesem Augenblick fiel ihm die Taschenflasche ein. Er hatte den Rucksack gegen einen Baum gelehnt, ein gutes Stück außerhalb der Reichweite des Feuers – den wollte er nicht auch noch verbrennen sehen –, und jetzt kam er auf die Beine und holte ihn. Einen Schluck oder zwei, genau das brauchte er. Zum Aufwärmen. Um die Nerven zu beruhigen. Er würde nirgendwohin gehen, jedenfalls nicht vor dem nächsten Morgen, und es würde eine lange, kalte, unerträgliche Nacht werden – da konnte er sich ruhig einen antütern. Er holte den Rucksack und ließ sich wieder beim Feuer nieder. Flüchtig dachte er an Joe – vielleicht sollte er versuchen, ihm etwas davon einzuflößen, wie in den Filmen, um ihn eventuell aus seiner Ohnmacht zu holen –, aber zuerst mal mußte er an sich selbst denken. Er hatte wirklich irgend etwas am linken Arm abbekommen, einen Muskel gerissen oder so, und der Schmerz schoß bis hinauf ins Schultergelenk und wieder zurück, als er sich die Flasche gegen die Brust klemmen wollte, um den Verschluß aufzudrehen. Die ganze Sache wirkte reichlich unbeholfen, vor allem mit den Handschuhen, aber er schaffte es – er mußte es schaffen, mußte einfach einen klaren Kopf kriegen hier –, und gleich danach hielt er sich die kalte, gedrehte und versilberte Metallöffnung an die Lippen und nahm einen ordentlichen langen Zug.
Es war ein Fehler. Und daß es einer war, wußte er im selben Augenblick. Es schnürte ihm die Kehle zusammen, und er krümmte sich nach vorn, sein ganzer Körper wurde heftig geschüttelt. Er war innerlich vereist, die Flüssigkeit war in der Flasche unter den Bäumen supragekühlt worden, bis sie eine neue Form des Todes war, die er sich in den Schlund gekippt hatte, und er wollte das Zeug wieder loswerden. Aber es kam nichts. Er kauerte auf Händen und Knien und würgte – würgte und hustete und spuckte –, das Feuer lachte ihm ins Gesicht, Joe Bosky lag reglos und schlaff auf seinem Thron aus Fichtenzweigen, und er würgte immer weiter, bis all das zelluläre Material , aus dem sich die Schleimhäute von Rachen und Speiseröhre zusammensetzten, herausgehustet war und die verspannten Muskeln seiner Gliedmaßen ihn einfach nicht länger vom Erdboden fernhalten konnten.
32
In der ersten Nacht ihrer Tour campierten sie in einer Hütte, die wie aus dem Boden gewachsen schien, irgendwie nicht anders als ein Haufen Felsblöcke oder ein kleines Wäldchen. Sie besaß ein Schuppendach, eine Schräge bis zum Boden, und in den uralten Sodenklumpen darauf sprossen längst Birken, Espen und ein verfilztes Gewirr aus kahlem Schilfrohr und entlaubten Zweigen. Aber es gab eine Proviantkammer, in der eine in Jute gewickelte Elchkeule an einem Draht herabhing, und im schimmernden Mondlicht hätte das auch etwas ganz anderes sein können, etwas Brutaleres, Düstereres, und Marco mußte zweimal hinsehen, ehe er überzeugt war. Die Hunde dagegen brauchten keine Bedenkzeit – sie rannten sofort los und kauerten dann ungeduldig auf ihren Hinterläufen vor der Hütte, während der Mond
Weitere Kostenlose Bücher