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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Unterhaltung anzuregen, nach seinem Namen. »Marco«, sagte er, »ist das italienisch?«
    »Ja, glaub schon – ursprünglich jedenfalls.« Marco richtete sich auf und wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn, und er hätte sich wohl besser ein Tuch aus dem Rucksack holen sollen, aber dafür war’s jetzt zu spät. Er würde sich nachher im Pool erfrischen, genau, das würde er tun – aber später. Viel später. »Mein Vater hat mich nach Marco Polo genannt.«
    »Echt? Ist ja irre.« Wieder das Knirschen des Spatens, der in die Erde drang. »Und heißt dein Bruder dann etwa Christoph?«
    Marco quittierte den Versuch, witzig zu sein, mit einem knappen Lächeln – diesen Kalauer bekam er seit der Grundschule zu hören. »Hab gar keinen Bruder.«
    »Mein Vater ist Italiener«, sagte Alfredo und stöhnte, als er eine Ladung Erde über die Schulter aus dem Graben hob. »Und meine Mutter Mexikanerin. Deswegen halte ich die Hitze hier so gut aus. Stört mich überhaupt nicht.«
    Na schön. Aber jetzt dachte Marco an seinen eigenen Vater, den Mann, den er seit zwei Jahren oder länger nur als Stimme bei einem Ferngespräch kannte. Wo bist du gerade? brüllte sein Vater dann in den Hörer. Twentynine Palms? Zum Teufel, da war ich auch, damals im Krieg – Wüstentraining. Wegen Rommel. Das Paradies auf Erden – na, im Winter jedenfalls ... Deine Mutter will wissen, wann du nach Hause kommst – stimmt’s nicht, Rosemary? Rosemary?
    Es gab keinen Groll, keine Ressentiments. Nichts von diesem Halbstarkenzorn, der seine Mitschüler dazu antrieb, mit ihren frisierten V8-Motoren den Leuten in der ganzen Siedlung um die Ohren zu schroten und am Küchentisch Gewalt mit Gewalt zu beantworten. Eigentlich fehlte ihm sein Vater – beide Eltern fehlten ihm. Es gab Zeiten, wenn er den Rucksack schulterte, den Daumen raushielt, in einem fremden Bett aufwachte oder an irgendeinem namenlosen Ort, der genau wie alle anderen Orte war, da versetzte ihm das einen dumpfen Schmerz, wie ein Zahn, der bald sehr weh tun würde, doch meist schloß er seine Eltern inzwischen aus seinen Gedanken aus, bis sie nicht viel mehr als Fremde waren. Er war auf Kaution freigekommen und hatte sich dünngemacht. Jetzt wurde nach ihm gefahndet, die kleine Strafe wegen eines pubertären Vergehens war längst verschärft durch »Flucht über eine Staatsgrenze«, und die Monate und Jahre, die er schon als U-Boot unterwegs war, türmten sich zu einer riesigen Gefängnismauer – auf die sich inzwischen noch eine Anklage wegen »Nichterscheinens zur Musterung« als Schlußstein fügte. Nach Hause? Das hier war jetzt sein Zuhause.
    Tut mir leid, Dad, aber die Antwort ist: nie mehr.
    Europäische Geschichte – sie definierte Marcos Vater, das war es, was er seit dreißig Jahren, und zwar aus demselben zunehmend überholten Lehrbuch, einer Abfolge von unbeeindruckten Gesichtern einzutrichtern versuchte, seit mindestens dreißig Jahren. Meine neue zehnte Klasse, ja? sagte er vielleicht beim Abendessen, immer noch in seinem braunen Cordjackett mit den Lederflecken an den Ellenbogen, die immer glänzten wie geölt, außerdem war er in der ganzen Siedlung von über zweihundertfünfzig Eigenheimen der einzige Vater mit Schnurrbart. Die erinnern mich eher an die Westgoten als an die alten Griechen. Nicht wie zu deiner Zeit, Marco – was fünf Jahre da für einen Unterschied machen. Ihr damals wart ja Akademiker dagegen! brüllte er dann, als meinte er das ernst, und dann lachte er. Schallend.
    »Wir sind ursprünglich Iren. Mein Nachname ist Connell. Jeder denkt natürlich, es hieße Mark O’Connell, aber mein Alter war ein kleiner Scherzkeks. Außerdem dachte er wohl, daß ich mal in die Ferne schweife.«
    »Echt? Und, warst du schon mal im Ausland?«
    Marco legte die Schaufel weg, um mit der Spitzhacke einen Feldstein zu lockern. »Eigentlich nicht.«
    Damit war Alfredo beim Thema Reisen, und die Städtenamen quollen ihm nur so über die Lippen, wie Fusseln aus einem Wäschetrockner, und er gab sich nicht mit Ein-Zentner-Käselaiben in Wisconsin zufrieden – es mußten schon London, Paris, Berlin, Rom, Venedig, Florenz sein. Er hatte mal Kunstgeschichte studiert, ob Marco das überhaupt wisse? Yeah, und damals war er mit dem Skizzenblock quer durch Europa getrampt, vom Louvre übers Rijksmuseum bis zum Prado. Nur so sollte man das angehen, also in jeder Stadt rund einen Monat bleiben, einfach in irgendeiner Pension oder Jugendherberge unterkommen – Leute

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