Drucke zu Lebzeiten
. ), alles, was sich
in seinem Nachlaß fände, „ausnahmslos am liebsten un-
gelesen“ zu verbrennen: „Von allem, was ich geschrie-
ben habe gelten nur die Bücher: Urteil, Heizer, Ver-
wandlung, Straolonie, Landarzt und die Erzählung:
Hungerkünstler … Wenn ich sage, daß jene Bücher
und die Erzählung gelten, so meine ich damit nicht, daß
ich den Wunsch habe, sie mögen neu gedruckt und
künigen Zeiten überliefert werden, im Gegenteil, soll-
ten sie ganz verloren gehn, entspricht dieses meinem
eigentlichen Wunsch. Nur hindere ich, da sie schon ein-
[ ]
mal da sind, niemanden daran, sie zu erhalten, wenn er
dazu Lust hat.“
Fast war es jenes in der ,Sorge des Hausvaters‘ ent-
fachte Spiel zwischen dem Sorgenkind Odradek und
dem Hausvater, der diesem seine Identität zu entlocken
sucht, das Kaa und Max Brod, das aber auch Kaa
und seine Verleger, ja das Kaa und die literarische Öf-
fentlichkeit selbst spielten: die Verleger Rowohlt und
Wolff zuerst, wo der Autor, kaum war ihm die Druck-
zusage abgerungen, diese gleich wieder „ungeschehen“
zu machen hoe (Tagebucheintragung vom . .
); dann, nachdem Rowohlt den Verlag verlassen
hatte, Wolff allein, der immer wieder Werbebriefe
schrieb, um seinem Autor ein Stück Text abzulocken,
und dem Kaa (trotz des Bemühens der Verlage Reiß
und Cassirer) die Treue hielt – bis zu dem letzten Erzäh-
lungenband, der im Verlag Die Schmiede in Berlin er-
schien. Eine Schlüsselrolle für die Publikation von Kaf-
kas Texten spielte Kurt Wolffs erfolgreiche Buchreihe
,Der jüngste Tag‘, in der fast alle wichtigen Autoren des
Expressionismus ihre Texte veröffentlichten, und in der
,Der Heizer‘, ,Das Urteil‘ und ,Die Verwandlung‘ (zum
Teil in wiederholten Auflagen) erschienen.
Kaas Publikationspraxis erwächst, so könnte man
sagen, aus der Besonderheit dieser zwiespältig besetzten,
geradezu von einer Doppelbindung beherrschten Pro-
duktionssituation. Manchmal scheint es, als sei Kaas
[ ]
Schreiben und Wertvorstellung durch Gattungskonzepte
gesteuert; so wenn er im Zusammenhang mit seinen
Romanen am . September im Tagebuch von den
„Niederungen des Schreibens“ spricht (und demgemäß
denn auch keinen der Romantexte für die Publikation
vorsieht), und solchem Schreiben dann das Glücken ei-
nes Schöpfungsaugenblicks (die Nacht des ,Urteils‘) ent-
gegenstellt: als den „Durchbruch“ zur Literatur. Aber
zuletzt sind es wohl doch die Eigentümlichkeiten des
zwischen Äußerungslust und mystischer Versenkung
spielenden Schreibprozesses selbst, die auf das Publi-
kationsgebaren Kaas einwirken. So werden aus dem
Schreibstrom, dem er sich in nächtlicher Arbeit anver-
traut, unverho einzelne, o winzige Partikel ausgeho-
ben und zögernd, geradezu eifersüchtig der Öffentlich-
keit zugestellt: Miniaturen, manchmal nur ein einziger
Satz, aus dem umfangreichen Manuskript der ,Beschrei-
bung eines Kampfes‘ zum Beispiel; dann die sogenannte
,Prozeß‘-Parabel aus dem großen Konvolut des Roman-
fragments; das ,Heizer‘-Kapitel aus dem unvollendeten
Roman ,Der Verschollene‘; und dann, in einem faszinie-
renden Vorgang des Ans-Licht-Bringens und des gleich-
zeitigen Ausstreichens, die Verwandlung des sich ver-
knäuelnden Schreibstroms der sogenannten „Oktav-
hee“ in die Erzählungen des Sammelbandes ,Ein Land-
arzt‘: die Gestaltwerdung und Reifung des ,Berichts für
eine Akademie‘ zu einem „Werk“, aus einer Kette von
[ ]
Varianten „entbunden“; und, demgegenüber, die Aus-
merzung so vollkommener Stücke wie ,Das Schweigen
der Sirenen‘ und ,Prometheus‘, die, von Kaa gestri-
chen, erst durch Brods Publikation und nachträgliche
Titelgebung zu „Werken“ der Literatur, ja zu Schlüssel-
texten seiner Wirkung wurden.
Das Spiel von Verkettung, Verwerfung und Textisola-
tion, das die Manuskripte spielen, setzt sich fort, wenn
Kaa sich schließlich doch zur Publikation entschlossen
hat. So nimmt er sich vor, ,Heizer‘, ,Urteil‘ und ,Ver-
wandlung‘ unter dem Titel ,Die Söhne‘ zu einem Band
von Erzählungen zu vereinen, verwir diesen Plan und
erprobt für einen neuen, seinerseits flüchtigen Augen-
blick die Zusammenstellung von ,Urteil‘, ,Verwandlung‘
und ,In der Straolonie‘ zu einem Sammelband ,Stra-
fen‘.
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