Drucke zu Lebzeiten
wollen, jetzt, da er die eine Tür
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geöffnet hatte und die anderen offenbar während des
Tages geöffnet worden waren, kam keiner mehr, und die
Schlüssel steckten nun auch von außen.
Spät erst in der Nacht wurde das Licht im Wohnzim-
mer ausgelöscht, und nun war leicht festzustellen, daß
die Eltern und die Schwester so lange wachgeblieben
waren, denn wie man genau hören konnte, entfernten
sich jetzt alle drei auf den Fußspitzen. Nun kam gewiß
bis zum Morgen niemand mehr zu Gregor herein; er
hatte also eine lange Zeit, um ungestört zu überlegen,
wie er sein Leben jetzt neu ordnen sollte. Aber das hohe
freie Zimmer, in dem er gezwungen war, flach auf dem
Boden zu liegen, ängstigte ihn, ohne daß er die Ursache
herausfinden konnte, denn es war ja sein seit fünf Jahren
von ihm bewohntes Zimmer – und mit einer halb unbe-
wußten Wendung und nicht ohne eine leichte Scham
eilte er unter das Kanapee, wo er sich, trotzdem sein
Rücken ein wenig gedrückt wurde und trotzdem er den
Kopf nicht mehr erheben konnte, gleich sehr behaglich
fühlte und nur bedauerte, daß sein Körper zu breit war,
um vollständig unter dem Kanapee untergebracht zu
werden.
Dort blieb er die ganze Nacht, die er zum Teil im
Halbschlaf, aus dem ihn der Hunger immer wieder auf-
schreckte, verbrachte, zum Teil aber in Sorgen und un-
deutlichen Hoffnungen, die aber alle zu dem Schlüsse
führten, daß er sich vorläufig ruhig verhalten und durch
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Geduld und größte Rücksichtnahme der Familie die Un-
annehmlichkeiten erträglich machen müsse, die er ihr in
seinem gegenwärtigen Zustand nun einmal zu verursa-
chen gezwungen war.
Schon am frühen Morgen, es war fast noch Nacht,
hatte Gregor Gelegenheit, die Kra seiner eben gefaßten
Entschlüsse zu prüfen, denn vom Vorzimmer her öffnete
die Schwester, fast völlig angezogen, die Tür und sah mit
Spannung herein. Sie fand ihn nicht gleich, aber als sie
ihn unter dem Kanapee bemerkte – Gott, er mußte doch
irgendwo sein, er hatte doch nicht wegfliegen können –
erschrak sie so sehr, daß sie, ohne sich beherrschen zu
können, die Tür von außen wieder zuschlug. Aber als
bereue sie ihr Benehmen, öffnete sie die Tür sofort wie-
der und trat, als sei sie bei einem Schwerkranken oder
gar bei einem Fremden, auf den Fußspitzen herein. Gre-
gor hatte den Kopf bis knapp zum Rande des Kanapees
vorgeschoben und beobachtete sie. Ob sie wohl bemer-
ken würde, daß er die Milch stehen gelassen hatte, und
zwar keineswegs aus Mangel an Hunger, und ob sie eine
andere Speise hereinbringen würde, die ihm besser ent-
sprach? Täte sie es nicht von selbst, er wollte lieber ver-
hungern, als sie darauf aufmerksam machen, trotzdem es
ihn eigentlich ungeheuer drängte, unterm Kanapee vor-
zuschießen, sich der Schwester zu Füßen zu werfen und
sie um irgendetwas Gutes zum Essen zu bitten. Aber die
Schwester bemerkte sofort mit Verwunderung den noch
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vollen Napf, aus dem nur ein wenig Milch ringsherum
verschüttet war, sie hob ihn gleich auf, zwar nicht mit
den bloßen Händen, sondern mit einem Fetzen, und
trug ihn hinaus. Gregor war äußerst neugierig, was sie
zum Ersätze bringen würde, und er machte sich die ver-
schiedensten Gedanken darüber. Niemals aber hätte er
erraten können, was die Schwester in ihrer Güte wirk-
lich tat. Sie brachte ihm, um seinen Geschmack zu prü-
fen, eine ganze Auswahl, alles auf einer alten Zeitung
ausgebreitet. Da war altes halbverfaultes Gemüse; Kno-
chen vom Nachtmahl her, die von festgewordener wei-
ßer Sauce umgeben waren; ein paar Rosinen und Man-
deln; ein Käse, den Gregor vor zwei Tagen für ungenieß-
bar erklärt hatte; ein trockenes Brot, ein mit Butter be-
schmiertes Brot und ein mit Butter beschmiertes und
gesalzenes Brot. Außerdem stellte sie zu dem allen noch
den wahrscheinlich ein für allemal für Gregor bestimm-
ten Napf, in den sie Wasser gegossen hatte. Und aus
Zartgefühl, da sie wußte, daß Gregor vor ihr nicht essen
würde, entfernte sie sich eiligst und drehte sogar den
Schlüssel um, damit nur Gregor merken könne, daß er es
sich so behaglich machen dürfe, wie er wolle. Gregors
Beinchen schwirrten, als es jetzt zum Essen ging. Seine
Wunden mußten übrigens auch schon vollständig geheilt
sein, er fühlte keine Behinderung
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