Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
Vom Netzwerk:
wollen, jetzt, da er die eine Tür
    [  ]
    geöffnet hatte und die anderen offenbar während des
    Tages geöffnet worden waren, kam keiner mehr, und die
    Schlüssel steckten nun auch von außen.
    Spät erst in der Nacht wurde das Licht im Wohnzim-
    mer ausgelöscht, und nun war leicht festzustellen, daß 
    die Eltern und die Schwester so lange wachgeblieben
    waren, denn wie man genau hören konnte, entfernten
    sich jetzt alle drei auf den Fußspitzen. Nun kam gewiß
    bis zum Morgen niemand mehr zu Gregor herein; er
    hatte also eine lange Zeit, um ungestört zu überlegen, 
    wie er sein Leben jetzt neu ordnen sollte. Aber das hohe
    freie Zimmer, in dem er gezwungen war, flach auf dem
    Boden zu liegen, ängstigte ihn, ohne daß er die Ursache
    herausfinden konnte, denn es war ja sein seit fünf Jahren
    von ihm bewohntes Zimmer – und mit einer halb unbe- 
    wußten Wendung und nicht ohne eine leichte Scham
    eilte er unter das Kanapee, wo er sich, trotzdem sein
    Rücken ein wenig gedrückt wurde und trotzdem er den
    Kopf nicht mehr erheben konnte, gleich sehr behaglich
    fühlte und nur bedauerte, daß sein Körper zu breit war, 
    um vollständig unter dem Kanapee untergebracht zu
    werden.
    Dort blieb er die ganze Nacht, die er zum Teil im
    Halbschlaf, aus dem ihn der Hunger immer wieder auf-
    schreckte, verbrachte, zum Teil aber in Sorgen und un- 
    deutlichen Hoffnungen, die aber alle zu dem Schlüsse
    führten, daß er sich vorläufig ruhig verhalten und durch
    [  ]
    Geduld und größte Rücksichtnahme der Familie die Un-
    annehmlichkeiten erträglich machen müsse, die er ihr in
    seinem gegenwärtigen Zustand nun einmal zu verursa-
    chen gezwungen war.
     Schon am frühen Morgen, es war fast noch Nacht,
    hatte Gregor Gelegenheit, die Kra seiner eben gefaßten
    Entschlüsse zu prüfen, denn vom Vorzimmer her öffnete
    die Schwester, fast völlig angezogen, die Tür und sah mit
    Spannung herein. Sie fand ihn nicht gleich, aber als sie
     ihn unter dem Kanapee bemerkte – Gott, er mußte doch
    irgendwo sein, er hatte doch nicht wegfliegen können –
    erschrak sie so sehr, daß sie, ohne sich beherrschen zu
    können, die Tür von außen wieder zuschlug. Aber als
    bereue sie ihr Benehmen, öffnete sie die Tür sofort wie-
     der und trat, als sei sie bei einem Schwerkranken oder
    gar bei einem Fremden, auf den Fußspitzen herein. Gre-
    gor hatte den Kopf bis knapp zum Rande des Kanapees
    vorgeschoben und beobachtete sie. Ob sie wohl bemer-
    ken würde, daß er die Milch stehen gelassen hatte, und
     zwar keineswegs aus Mangel an Hunger, und ob sie eine
    andere Speise hereinbringen würde, die ihm besser ent-
    sprach? Täte sie es nicht von selbst, er wollte lieber ver-
    hungern, als sie darauf aufmerksam machen, trotzdem es
    ihn eigentlich ungeheuer drängte, unterm Kanapee vor-
     zuschießen, sich der Schwester zu Füßen zu werfen und
    sie um irgendetwas Gutes zum Essen zu bitten. Aber die
    Schwester bemerkte sofort mit Verwunderung den noch
    [  ]
    vollen Napf, aus dem nur ein wenig Milch ringsherum
    verschüttet war, sie hob ihn gleich auf, zwar nicht mit
    den bloßen Händen, sondern mit einem Fetzen, und
    trug ihn hinaus. Gregor war äußerst neugierig, was sie
    zum Ersätze bringen würde, und er machte sich die ver- 
    schiedensten Gedanken darüber. Niemals aber hätte er
    erraten können, was die Schwester in ihrer Güte wirk-
    lich tat. Sie brachte ihm, um seinen Geschmack zu prü-
    fen, eine ganze Auswahl, alles auf einer alten Zeitung
    ausgebreitet. Da war altes halbverfaultes Gemüse; Kno- 
    chen vom Nachtmahl her, die von festgewordener wei-
    ßer Sauce umgeben waren; ein paar Rosinen und Man-
    deln; ein Käse, den Gregor vor zwei Tagen für ungenieß-
    bar erklärt hatte; ein trockenes Brot, ein mit Butter be-
    schmiertes Brot und ein mit Butter beschmiertes und 
    gesalzenes Brot. Außerdem stellte sie zu dem allen noch
    den wahrscheinlich ein für allemal für Gregor bestimm-
    ten Napf, in den sie Wasser gegossen hatte. Und aus
    Zartgefühl, da sie wußte, daß Gregor vor ihr nicht essen
    würde, entfernte sie sich eiligst und drehte sogar den 
    Schlüssel um, damit nur Gregor merken könne, daß er es
    sich so behaglich machen dürfe, wie er wolle. Gregors
    Beinchen schwirrten, als es jetzt zum Essen ging. Seine
    Wunden mußten übrigens auch schon vollständig geheilt
    sein, er fühlte keine Behinderung

Weitere Kostenlose Bücher