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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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mehr, er staunte dar- 
    über und dachte daran, wie er vor mehr als einem Monat
    sich mit dem Messer ganz wenig in den Finger geschnit-
    [  ]
    ten, und wie ihm diese Wunde noch vorgestern genug
    wehgetan hatte. „Sollte ich jetzt weniger Feingefühl ha-
    ben?“ dachte er und saugte schon gierig an dem Käse, zu
    dem es ihn vor allen anderen Speisen sofort und nach-
     drücklich gezogen hatte. Rasch hintereinander und mit
    vor Befriedigung tränenden Augen verzehrte er den Kä-
    se, das Gemüse und die Sauce; die frischen Speisen dage-
    gen schmeckten ihm nicht, er konnte nicht einmal ihren
    Geruch vertragen und schleppte sogar die Sachen, die er
     essen wollte, ein Stückchen weiter weg. Er war schon
    längst mit allem fertig und lag nur noch faul auf der
    gleichen Stelle, als die Schwester zum Zeichen, daß er
    sich zurückziehen solle, langsam den Schlüssel umdreh-
    te. Das schreckte ihn sofort auf, trotzdem er schon fast
     schlummerte, und er eilte wieder unter das Kanapee.
    Aber es kostete ihn große Selbstüberwindung, auch nur
    die kurze Zeit, während welcher die Schwester im Zim-
    mer war, unter dem Kanapee zu bleiben, denn von dem
    reichlichen Essen hatte sich sein Leib ein wenig gerundet
     und er konnte dort in der Enge kaum atmen. Unter
    kleinen Erstickungsanfällen sah er mit etwas hervorge-
    quollenen Augen zu, wie die nichtsahnende Schwester
    mit einem Besen nicht nur die Überbleibsel zusammen-
    kehrte, sondern selbst die von Gregor gar nicht berühr-
     ten Speisen, als seien also auch diese nicht mehr zu ge-
    brauchen, und wie sie alles hastig in einen Kübel schütte-
    te, den sie mit einem Holzdeckel schloß, worauf sie alles
    [  ]
    hinaustrug. Kaum hatte sie sich umgedreht, zog sich
    schon Gregor unter dem Kanapee hervor und streckte
    und blähte sich.
    Auf diese Weise bekam nun Gregor täglich sein Essen,
    einmal am Morgen, wenn die Eltern und das Dienstmäd- 
    chen noch schliefen, das zweitemal nach dem allgemei-
    nen Mittagessen, denn dann schliefen die Eltern gleich-
    falls noch ein Weilchen, und das Dienstmädchen wurde
    von der Schwester mit irgendeiner Besorgung wegge-
    schickt. Gewiß wollten auch sie nicht, daß Gregor ver- 
    hungere, aber vielleicht hätten sie es nicht ertragen kön-
    nen, von seinem Essen mehr als durch Hörensagen zu
    erfahren, vielleicht wollte die Schwester ihnen auch eine
    möglicherweise nur kleine Trauer ersparen, denn tat-
    sächlich litten sie ja gerade genug.
    
    Mit welchen Ausreden man an jenem ersten Vormittag
    den Arzt und den Schlosser wieder aus der Wohnung
    gescha hatte, konnte Gregor gar nicht erfahren, denn
    da er nicht verstanden wurde, dachte niemand daran,
    auch die Schwester nicht, daß er die Anderen verstehen 
    könne, und so mußte er sich, wenn die Schwester in
    seinem Zimmer war, damit begnügen, nur hier und da
    ihre Seufzer und Anrufe der Heiligen zu hören. Erst
    später, als sie sich ein wenig an alles gewöhnt hatte – von
    vollständiger Gewöhnung konnte natürlich niemals die 
    Rede sein –, erhaschte Gregor manchmal eine Bemer-
    kung, die freundlich gemeint war oder so gedeutet wer-
    [  ]
    den konnte. „Heute hat es ihm aber geschmeckt“, sagte
    sie, wenn Gregor unter dem Essen tüchtig aufgeräumt
    hatte, während sie im gegenteiligen Fall, der sich allmäh-
    lich immer häufiger wiederholte, fast traurig zu sagen
     pflegte: „Nun ist wieder alles stehengeblieben.“
    Während aber Gregor unmittelbar keine Neuigkeit er-
    fahren konnte, erhorchte er manches aus den Neben-
    zimmern, und wo er nur einmal Stimmen hörte, lief er
    gleich zu der betreffenden Tür und drückte sich mit
     ganzem Leib an sie. Besonders in der ersten Zeit gab es
    kein Gespräch, das nicht irgendwie, wenn auch nur im
    geheimen, von ihm handelte. Zwei Tage lang waren bei
    allen Mahlzeiten Beratungen darüber zu hören, wie man
    sich jetzt verhalten solle; aber auch zwischen den Mahl-
     zeiten sprach man über das gleiche ema, denn immer
    waren zumindest zwei Familienmitglieder zu Hause, da
    wohl niemand allein zu Hause bleiben wollte und man
    die Wohnung doch auf keinen Fall gänzlich verlassen
    konnte. Auch hatte das Dienstmädchen gleich am ersten
     Tag – es war nicht ganz klar, was und wieviel sie von
    dem Vorgefallenen wußte – kniefällig die Mutter gebe-
    ten, sie sofort zu entlassen, und als sie sich eine Viertel-
    stunde danach

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