Dryadenliebe (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
Quelle", sagte er.
Daan knüllte das Pergament zusammen und stopfte es in
seine Manteltasche. Er brauchte noch einen Moment, um seine
Fassung wiederzufinden.
Letztlich hatte seine Großmutter sich also entschlossen,
gegen den Willen des Fürsten zu handeln und ihm angeboten, bei
ihrer Urenkelin Patin zu werden.
Aber eine Elfe als Patin reichte nicht; je ausgewogener die
Einflüsse waren, umso gefährdeter wäre das Kind. Und
abgesehen davon, dass er keinen zweiten Lichtelfen finden
würde, der bereit war, würde sich Ria nie darauf einlassen, dem
Kind nicht auch eine Dryade als Patin an die Seite zu stellen.
Nein, es war seine Aufgabe, eine der Herkunftswurzeln aus dem
Kind herauszureißen, und es würde die elfische Natur sein. Er
seufzte und erhob sich. Wenigstens würde dem Kind so die
Ausbildung bei den Hedon elandilih erspart bleiben.
Er trank gerade den letzten Schluck Tee mit Vanille aus den
Gärten Aßlars, als ein aufgeregter Schrei ertönte.
Ria!
Daan stürzte aus der Tür des Arboriums, wie die Dryaden
ihre Baumhäuser nannten und sprang die Stufen der Leiter in
einem Satz herunter.
Keinen Steinwurf weit von ihm entfernt stand Ria, keuchte,
krümmte sich. Dendra war an ihrer Seite, stützte sie.
"Was ist geschehen? Ist sie krank, geht es ihr schlechter?"
Dendra lächelte. "Nein. Die Fruchtblase ist geplatzt, das
Kind kommt."
"Himmel, was soll ich denn tun? Soll ich irgendetwas holen?
Sie halten?" fragte Daan.
Ria, schrie erneut auf, keuchte wieder.
"Nein, nein, alles gut. Geh´ ins Arborium, ich gehe mit ihr
zur Quelle; es ist alles vorbereitet. Das ist Frauensache."
Daan trat auf Ria zu, küsste sie. "Sicher, dass du alleine
zurecht kommst?" fragte er.
"Ja doch, du…" weiter kam sie nicht, erneut zerriss ihr
Schrei die Stille des Waldes und scheuchte die wenigen Vögel auf,
die bisher nicht geflohen waren.
"Geh schon", sagte Dendra.
"Gut, bis gleich, äh- später…"
Fluchtartig drehte Daan ab und erklomm mit wackeligen
Knien wieder die Leiter zum Baumhaus. Er würde es vor den
beiden nicht zugeben, aber er war heilfroh, nicht mit zur Quelle
zu müssen. Es war eine Sache wenn Ria schrie und er sie retten
konnte, aber gegen dieses kleine Wesen, das sich mit Gewalt den
Weg aus ihrem Körper bahnte, war er machtlos.
Die Quelle war nicht weit, und seine Ohren waren fein. Die
Schreie schienen von Mal zu Mal schlimmer zu werden.
Schließlich hielt er es nicht mehr aus und hielt sich bei jedem
neuen Schrei die Ohren zu. Ganz verschwanden die quälenden
Töne nicht, aber sie waren doch gedämpft. Bis zu dem einen
Schrei, der ihn dazu brachte die Hände von den Ohren zu
nehmen und verzückt zu lauschen:
Klein und kläglich, fast ein Wimmern, aber eindeutig nicht
Ria.
Tari. Seine Tochter war angekommen. Und da sie schrie,
ging es ihr wohl gut.
Daan presste sein Gesicht in eines der weichen Kissen auf
dem Bett. Seine Tochter.
Dieses eine Mal, gestand er sich zu, wollte er die Tränen
nicht als beschämend, sondern auf Dryadenart, als befreiend
erleben.
Jetzt wusste er, was Ria mit `Freudentränen` gemeint hatte.
Unzertrennlich
Es war über Nacht Winter geworden. Leo fröstelte, obwohl
sein Fell in den letzten Tagen dichter geworden war. Er sprang
das letzte Stück des kleinen Abhanges vor Ronans Höhle
hinunter, schlidderte über das vereiste Felsgestein des Vorplatzes
und kam genau vor dem Höhleneingang zum Stehen.
Beinahe hätte er sich übergeben.
Gleich rechts neben der Höhle, am Ast der alten Buche, hing
der Kadaver eines Kaninchens. Der Kopf und das Fell fehlten, die
Läufe waren bizarr gestreckt.
Igitt, das war echt eklig. Noch nie war er so brutal mit
Ronans Essgewohnheiten konfrontiert worden. Sicher, er wusste,
dass Ronan ein Wolf war, aber in seiner Gegenwart aß sein
Freund nie Fleisch. Genau genommen aß Ronan in seiner
Gegenwart überhaupt nicht, korrigierte Leo sich in Gedanken.
"Leo!" rief Ronan, der in diesem Moment mit einem
dampfenden Kessel aus dem Höhleneingang trat. "Du bist ja
früh."
"Ja, ich war...", er schluckte, versuchte, nicht auf den armen
Hasen zu schauen, konnte es nicht verhindern und sagte:
"Heiliger Zipsel, Ronan, hast du den getötet?" Er zeigte auf
den Hasen.
Ronan strahlte ihn an. "Ja. Genau. Ich habe den getötet.
Gefangen, getötet. Und abgezogen. Ganz allein. Stört er dich da?"
Ronan zerrte an den Schnüren, bekam den Hasen nicht los, zerrte
heftiger, riss schließlich einen Teil des Astes mit ab und lief in
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