Dryadenliebe (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
Altarfront, gerade noch grau und leer, rasten Bilder
vorüber, dehnten sich immer mehr aus, verließen die Umrisse des
Altars und leuchteten in der Luft weiter. Julie sah sich staunend
um. Es schien, als sei sie von der Geschichte der Elfen umgeben.
Sie sah vor sich, hinter sich, neben sich überall eigenständige
Bilder, von denen jedes eine andere Szene zeigte.
„Was hat das zu bedeuten?“ flüsterte sie gebannt.
Dendra antwortete ihr.
„In Tari überwiegen wohl doch die elfischen Anteile.“ Sie
lächelte Julie zu. „Tari wird zwar keine Dryadenmagierin, aber
wenigstens ist das Ergebnis eindeutig. Wir sollten froh sein. Je
eindeutiger sich das Kind zu einer Rasse gehörig zeigt, umso
unwahrscheinlicher ist es, dass die Kleine böse wird. Ich habe
noch nie eine so außerordentliche Elfentaufe erlebt. Ich muss
meiner Tochter gratulieren- und meinem Schwiegersohn. Du
entschuldigst mich.“
Julie konnte nicht viel dazu sagen, schließlich war das ihre
erste Elfentaufe überhaupt. Aber auch sie fühlte, dass heute etwas
Besonderes geschehen war. Daan strahlte, Ria sah auch nicht
unglücklich aus, selbst der Fürst und seine Frau zeigten so etwas
wie erfreute Anteilnahme.
Das Glück ihrer Freunde tröstete Julie ein wenig über den
nagenden Schmerz in ihrem Arm hinweg.
*
Die kleine Abordnung, die würdevoll durch den Wald
schritt, war sich einig: die Handlung, die sie an diesem Tag
vollzogen, war nur pro Forma. Viele der Dryaden waren schon
wieder abgereist, die wenigen, die geblieben waren, gehörten
zum engen oder weiteren Familienkreis.
Taris Elfentaufe war so eindeutig gewesen, dass Dendra
bereit gewesen war auf die Dryadentaufe zu verzichten, doch
Daan und Ria hatten darauf bestanden.
Julie war es nur Recht, sie war gerne im Wald- was konnte
es schöneres geben?
Auch heute war Myra wieder an ihrer Seite; Julies
Großmutter war immer noch ein wenig verschnupft darüber, wie
sich die kleine Tari entschieden hatte.
Julie versuchte, sie ein wenig aufzumuntern.
„Du hast bestimmt schon viele Dryadentaufen gesehen?
Erzähl mir davon“, sagte sie.
Ihr Plan ging auf, Myras Miene wurde deutlich weicher.
„Hm. Bei Rias Taufe fingen alle Bäume rings um die Quelle
herum an zu blühen, und die Wurzel, aus der sie stammt, glühte
hell und stark. Aber das war noch nichts gegen die Taufe deiner
Mutter. Die Bäume im Umkreis von einer Meile haben geblüht,
und ihre Wurzel strahlte wie die Sonne im Sommer.“
Erneut trat ein trauriger Ausdruck auf Myras Gesicht, und
Julie konnte es ihr nicht verdenken: wie oft wünschte sie sich, ihre
Mutter mögen hier sein? Sie seufzte.
Myra nahm ihre Hand und drückte sie. „Ach Kind, ist nicht
so schlimm. Ich habe ja dich, und für die kleine Tari ist es
bestimmt besser so.“
Schweigend legten sie die letzten Schritte über den weichen
Waldboden zurück, wichen kleinen, mit Moos bewachsenen
Erdhügeln aus und blieben endlich vor Dendras Eiche stehen.
Dendra grub eine Kuhle vor dem Baum, gab eine Eichel
hinein und füllte Quellwasser aus der mitgebrachten Flasche in
die Höhlung. Sie nickte Ria zu.
„So, dann wollen wir deiner Tochter mal die winzigen
Wurzelfüße baden“, sagte sie.
Ria kniete sich hin, nahm Taris nackte kleine Füßchen in
ihre Hand und streckte ihre Beinchen behutsam, bis die Zehen im
Wasser verschwanden.
Tari lachte fröhlich, beugte sich vor, patschte mit der Hand
in die kleine Pfütze.
„Julie, sieh nur“, flüsterte Myra und deutete nach oben.
Julie folgte ihrem Finger mit den Blicken und riss die Augen auf.
Wie im Zeitraffer schossen neue Triebe und kleine Knospen
aus den Baumkronen, öffneten sich zu Blüten. Die Eiche vor ihnen
erstrahlte so hell, dass Julie geblendet die Augen abwenden
musste.
Tari lachte erneut, und direkt an Dendras Eiche riss die Luft
auf, ein Spalt wurde sichtbar. Nacheinander traten drei Einhörner
aus dem Spalt, beschnupperten Tari, die ganz still hielt, während
Ria nur ungläubig den Kopf schüttelte.
Daan war leichenblass, er stützte sich auf einen
Baumstumpf.
Der Spalt breitete sich aus, erfasste das Laub auf dem
Waldboden, kam näher und näher. Aus einem Impuls heraus
versuchte Julie zu schweben, damit ihre Füße nicht im
Nirgendwo verschwanden, aber es gelang ihr genauso schlecht
wie immer. Nach einem kurzen Hopser landete sie wieder am
Boden, bis zu den Knöcheln im Nichts.
Der Wald schien seine Farbe zu ändern, die Bäume
begannen zu schillern- und dann war es vorbei.
Ria
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