Dryadenliebe (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
mit ausgestrecktem
Arm in der Luft.
"Noch ein Hühnerbein. Aewore hat Angst, dass du dort
verhungerst." Sie lachte. "Die war wohl länger nicht im
Sommernachtshaus."
"Na", mischte Chris sich ein, "in ihrem Alter würde ich das
auch nicht riskieren."
Jan-Mathys nahm die Keule und bedankte sich artig. Dann
fiel ihm etwas ein.
"Wenn du die anderen auch verpasst hast, kannst du doch
mit uns auf die andere Seite gehen."
Taris sonst so lebhaftes Gesicht wurde ganz traurig.
"Ich kann nicht."
"Wieso? Es ist bestimmt noch so viel Zeit, dass wir deinen
Eltern Bescheid sagen können, oder Chris?" Er schaute zu seinem
Ritter hoch. Der konnte alles möglich machen soviel war mal
sicher. Doch zu seinem Erstaunen sagten Chris und Tari wie aus
einem Munde:
"Es geht nicht."
Was für ein verrückter Tag. Er hatte heute gegen einen
Bären gekämpft, da würde er jetzt nicht aufgeben. Zumindest
wollte er wissen, wieso die beiden sich so komisch benahmen.
"Warum nicht?" fragte er beharrlich.
Tari senkte den Kopf, und ihre Stimme war kaum mehr als
ein Flüstern.
"Ich soll noch nicht sechs Jahre alt werden. Am besten
niemals."
Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich um und lief davon,
aber Jan-Mathys war sicher, eine Träne auf Taris Wange gesehen
zu haben. Wie oft hatte er an diesem Tag Menschen zum Weinen
gebracht? Er war so ein Trottel.
"Komm schon, wir können ihr nicht hinterher gehen, du
musst auf die andere Seite."
Chris wandte sich ab, und Jan-Mathys machte, dass er ihm
hinterherkam.
Einsam
Julie schwebte einen Augenblick, etwa in Hüfthöhe, und
krachte dann auf das Strohmattenlager unter ihr.
All ihre anderen Fähigkeiten entwickelten sich gut; ihre
Heilkräfte waren nach der Erfahrung mit Jarron damals
sprunghaft angestiegen, als habe der Sog, den der Körper des
Dunkelelfen ausgelöst hatte, etwas in ihr freigesetzt.
Flammenbälle zielgerichtet zu schießen fiel ihr inzwischen so
leicht, dass Anouk es ihr nicht mehr abgenommen hätte, wenn sie
jemanden damit ´aus Versehen` knapp verfehlt hätte. Und selbst
ihre Fähigkeit in fremde Köpfe einzudringen, um Gedanken zu
lesen, machte seit dem letzten Jahr große Fortschritte. Nur das
dämliche Schweben…
So stickig wie es heute in ihrer Kammer war konnte man ja
auch nichts Ordentliches zustande bringen. Draußen schien die
Sonne, aber das würde nicht mehr lange so zuverlässig der Fall
sein. Durch das Fehlen des Herbstes war es dann von einem Tag
auf den anderen plötzlich über dreißig Grad kälter, ein guter
Grund noch einmal alles zu genießen, was der Sommer zu bieten
hatte.
Jeder, der bei Verstand war, griff sich seine Liebsten und
verbrachte die letzten warmen Tage draußen, bevor der Winter
wieder über Tallyn hereinbrach.
Aber genau das war das Problem. Was tat man mit diesem
Geschenk, wenn man keinen Liebsten hatte, mit dem man es
teilen konnte? Julie rollte die Matten auf und lehnte sie an die
Wand neben dem Kamin. Es musste ja nicht immer der Liebste
sein.
Sie würde mal sehen, ob sich einer ihrer Freunde finden
ließ.
Auf dem Weg zu Quelle begegneten ihr Anouk und Chris;
Hand in Hand wanderten sie durch den Wald. Anouks Gesicht
war weicher geworden. Die vergangenen neun Jahre hatten ihrer
Schönheit keinen Abbruch getan, im Gegenteil, so verliebt an
Chris Seite sah sie deutlich frischer aus als zu der Zeit, als sie
nahezu im Alleingang die Katakomben bewachen musste.
"Julie." Anouk lächelte, verhielt den Schritt. "Willst du ein
Stück mit uns gehen?"
Julie wollte schon dankend annehmen, als sie Chris´
Gesichtsausdruck gewahr wurde. Er erinnerte sie an etwas. Sie
zögerte. Richtig, an das Gesicht von Mathys, als sie Leo damals
mit zu ihrem Platz am Fluss gebracht hatte. Sie konnte sich kaum
noch an Mathys Züge erinnern, aber die Enttäuschung in Chris
Gesicht war mehr als vertraut. Nur das sie diesmal der Leo war,
das Anhängsel. Sie würde weder jammern noch betteln, so
verzweifelt war sie nicht.
"Nein, Danke. Ich hab´ zu tun."
An der Quelle war es still bis auf das sanfte Rauschen des
Wassers. Sie setzte sich auf einen bemoosten Stein, lehnte den
Rücken an den breiten Stamm und zog die Beine an. Auch hier
war es noch warm, wenn auch merklich kühler als in ihrer
Kammer.
Ein Quietschen ertönte, dann ein Platschen. Julie lugte um
den Stamm herum. Tari plantschte im Wasser der Quelle, die
blonden Haare nass, die Wangen rot. Sie sah noch immer aus wie
fünf, auch wenn sie im Grunde schon neun Jahre alt war.
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