Dryadenliebe (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
Chris Arbeitszimmer offen herum, aber sie war so gut
gezeichnet gewesen, dass Julie sie sich mit einem längeren Blick
einprägen konnte. In jeder Nacht ging sie den Weg in Gedanken,
stellte sich vor, wie Mathys jetzt aussah, was er so erlebte, wen er
kennenlernte.
Was würde geschehen, wenn sie erwischt wurde? Julie
wusste es nicht. Und in dieser Nacht war es ihr auch gleichgültig.
Wenn sie nicht zumindest in seiner Nähe sein konnte, würde sie
Dinge tun, die sie so weit voneinander entfernten, dass sie sich
selbst nicht mehr erkannte- wie sollte Mathys es dann können?
Der Nachtwind riss ihr die Haare aus dem Gesicht, das
Donnern von Go´s Hufen bewirkte gleichzeitig ein furchtbar
schlechtes Gewissen und eine freudige Erregung, wie sie sie
zuletzt im Drachenbach mit Mathys gespürt hatte. Vielleicht
würde sie herausfinden können, welches sein Fenster war.
Dort die riesige Eiche, dass musste der Abzweig sein. Sie
verhielt ihren Hengst, ritt im Schritt durch den nächtlichen Wald.
Wie schön es hier war.
Der Duft einer umgestürzten Kiefer, das Rascheln des
Farnkrautes, das leise „Schuhschu“ einer Eule- es war Julie, als
lege der Wald seine Arme um sie, hielte sie, tröstete sie.
All der Kummer brach sich eine Bahn; sie zwang sich leise
zu weinen um nicht entdeckt zu werden, obgleich ihr nach
Schreien war.
Der kleine Waldweg endete vor einer einfachen Hütte. War
sie hier richtig? Julie sah sich um. Ein Schweinestall, ein
Holzhaus, mehrere Gruben gefüllt mit schwarzen Brocken- oder
zumindest mit etwas, das in der Nacht schwarz aussah, denn
Licht gab es keines auf dem Hof. Nur ein ganz schwacher Schein
drang durch die Ritzen zwischen den Wandbrettern. Warum war
das nicht abgedichtet? So musste es doch furchtbar ziehen im
Winter. Ließen sie Mathys etwa frieren?
Julie stieg vom Pferd, atmete tief durch. Warum war er nicht
in einem Haus wie dem Sägewerk seiner Eltern? Konnte er sich
denn so entwickeln, wie er gewesen war, wenn sie die
Bedingungen änderten? Sie hatte sich so viele Gedanken darüber
gemacht, ob sie noch die Gleiche sein würde, wenn sie sich trafen.
Aber würde er noch der Gleiche sein?
Drinnen rumpelte etwas. Julie zuckte zusammen, sah sich
hektisch um. Sie stand hier mitten auf dem Hof, dabei musste
man doch am frühen Abend damit rechnen, dass noch einmal
jemand herauskam um die Tiere zu versorgen. Direkt am Haus
war kein Baum und kein Strauch, nichts was groß genug gewesen
wäre um sich mit Go dahinter zu verstecken.
Sie zog ihren Hengst am Zügel um die Hausecke, legte ihm
die Hand auf die Nüstern wie sie es immer tat, wenn er still sein
sollte.
Die Tür der Hütte öffnete sich quietschend, eine Gestalt trat
auf den dunklen Hof. Die kleine Laterne in ihrer Hand erhellte
die Gestalt; auf den ersten Blick sah Julie, dass sie keinen
Erwachsenen vor sich hatte. Bis auf Mathys waren die beiden
Kinderlos, es konnte sich nur um Mathys handeln. Den Zügel
noch in der Hand, presste Julie beide Hände auf die Brust,
unterdrückte einen Aufschrei. Wenigstens von hinten konnte sie
ihn sehen.
Der Junge griff mit der freien Hand einen Eimer, stellte die
Laterne auf den Brunnenrand, und füllte das Gefäß. Julie starrte
ihn an, wünschte sich so sehr, dass er sich zu ihr umdrehte.
Nachdem Mathys den Eimer wieder geschickt über den Rand
gewuchtet hatte, hielt er inne. Langsam, ganz langsam, wandte er
sich in ihre Richtung um. Ohne ein Wort starrte er sie an. Sah er
sie nicht? Mathys hob die Lampe, hielt sie hoch über seinen Kopf,
leuchtete in ihre Richtung.
Ihre Blicke trafen sich. En warmes Glücksgefühl
durchströmte Juli. Mathys. Eindeutig Mathys.
Er rief nicht, er sagte nichts, sah sie einfach nur an. Lächelte.
Und drehte sich dann wieder um, ging, den Eimer in der einen,
die Laterne in der anderen Hand, zum Stall und öffnete die Tür.
Freudiges Grunzen begrüßte ihn.
Er sah nicht noch einmal zu Julie hinüber, obgleich sie die
ganze Zeit still in der Dämmerung ausharrte, bis Mathys seine
Arbeit bei den Schweinen erledigt hatte und wieder auf den Hof
trat.
Erst als sich die Tür der Haupthütte hinter ihm geschlossen
hatte, erwachte Julie aus ihrem Traumzustand.
Schotter spritzte unter Gos Hufen nach allen Seiten davon;
sie preschte so schnell durch die Nacht wie es ging, ohne sich den
Hals zu brechen.
Er war es. Sie hatte ihn gesehen.
Und er sie.
Die Burg tauchte auf; Julie ließ Go in den Schritt fallen und
ritt zum Stall.
Warmes Licht und der Geruch nach
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