Dryadenliebe (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
Tag
gewesen; die Aussicht Mathys bald zurückzuhaben ließ alles in
einem rosigen Licht erscheinen.
Zwar war es ihr noch immer nicht gelungen, in jemandes Kopf
einzudringen, ohne denjenigen zu beunruhigen- von
unbemerktem Eindringen ganz zu schweigen- aber sie hatte in
den letzten Tagen noch etliche Flammenbälle produziert und
geworfen. Ein gutes Gefühl, dass sich endlich etwas entwickelte.
Besonders, da Swantje inzwischen Bücher auf dem Tisch nur mit
der Kraft ihrer Gedanken hin und her schob, als habe sie das
immer schon getan.
Gut, Julies Heilkünste waren außergewöhnlich, aber Swantje
konnte auch heilen und die Fähigkeit ihrer Stellvertreterin,
anderen Wesen Energie abzuzapfen solange diese nichts dagegen
hatten, war absolut einzigartig, soweit Julie wusste. So sehr es sie
sonst anfocht, an diesem Abend war es Julie gleichgültig. Morgen
ging es zu den Sicca. Und außerdem waren Flammenbälle einfach
cooler.
Die Gänge der Burg waren wie immer endlos. Julie sah sich
genauer um. Wo war Anouks Zimmer? Sie orientierte sich an den
Türen. Eine Rundbogennische mit Tür zur Rechten, zwei zur
Linken, dann ein paar Schritte kein Abzweig- es war nicht mehr
weit.
Sie mochte das Geräusch, das ihre Ledersohlen auf den glatt
geschliffenen Steinplatten des Bodens machten. Die Felsblöcke,
aus denen der Boden bestand, waren etwa achtmal so groß wie
die behauenen Klötze aus denen die Wände im oberen Teil der
Burg bestanden. Wie hatte man die riesigen Brocken hier
überhaupt verlegt? Mit Magie?
Noch eine Doppeltür zur Linken, die übernächste Tür auf der
rechten Seite musste es sein.
"Julie."
Chris. Kam ihr genau entgegen. Julie tat, was sie in letzter Zeit
immer getan hatte, wenn sie den Ratsherren traf: wortlos und
erhobenen Kopfes lief sie weiter.
Sie war schon halb an dem schlanken Mann mit dem blonden
Zopf vorbei, als ein Ruck am Ärmel sie innehalten ließ.
"Julie, bitte, so kann es doch nicht weitergehen. Willst du mich
denn ewig ignorieren?" fragte Chris.
Sie antwortete nicht, warf ihm nur einen Blick zu, der dafür
sorgte, dass er ihren Ärmel losließ als habe er sich verbrannt.
Chris gab dieses Mal nicht auf.
"Persönlich kann ich das ja verstehen, aber wir müssen auch
zusammen arbeiten. Die Schutzzauber sind noch nicht wieder voll
intakt. Und ich bin der Gefährte der Hüterin, also…"
Julie hielt es nicht mehr aus.
"Ja, und Mathys war mein Gefährte, das hat dich aber nicht
gekümmert, als du ihn einfach hast sterben lassen. Keinen Finger
hast du gerührt, mich davon abgehalten ihm zu helfen, er war dir
egal, scheißegal…", brüllte Julie.
Statt sich wie erwartet zu entschuldigen und auf Knien um
Vergebung zu winseln, tat Chris etwas gänzlich Unerwartetes:
Er schubste Julie so fest gegen die Schultern, dass sie mit dem
Rücken gegen die scharfen Kanten der Wandsteine knallte.
"Au, spinnst du?"
"Jetzt sage ich dir mal etwas."
Chris hatte sich vor ihr aufgebaut, und obwohl er nur wenig
größer und schwerer war als Julie, hatte er ein beeindruckend
breites Kreuz. Er stützte seine Arme rechts und links neben ihrem
Kopf an die Wand und kam mit seinen dunkelbraunen Augen
ganz nah an ihr Gesicht heran.
"Du wirst endlich aufhören, mich dumm anzumachen. Weißt du
wie verletzend das ist? Mathys war auch mein Freund."
Er zog die Hände ein Stück zurück, nur um sie erneut mit einem
Klatschen wieder auf die Wand neben ihrem Kopf niederfahren
zu lassen. Julie zuckte zusammen.
"Nereide hatte geweissagt, dass viele sterben, wenn ich es
verhindere. Was hättest du denn getan?"
Er sah sie forschend an, doch Julie wandte den Blick ab und
antwortete nicht.
"Ach, fahr doch zur Hölle." Chris löste sich von der Wand und
trat wieder in den Gang, ging in die Richtung aus der Julie
gekommen war.
Sie sah ihm nach, doch er drehte sich nicht um.
Erst als Chris um die nächste Biegung verschwunden war,
erwachte Julie aus ihrer Starre und besann sich wieder auf
Anouks Anweisung. Der Schock über Chris Ausbruch saß tief,
denn es war eine gute Frage.
Was hätte sie getan?
Leise fluchend klopfte sie an Anouks Tür.
*
Anouk saß nicht, wie sonst so oft, mit einem Buch auf der mit
Kissen belegten weißen Bank oder schaute aus einem der beiden
hohen gotischen Spitzfenster.
Die Hüterin blickte Julie von ihrem steifen hölzernen Lehnstuhl
aus entgegen. Ohne ein Wort deutete Anouk auf den zweiten
Stuhl hinter der imposanten Tischplatte.
Julie setzte sich. Sie fühlte sich immer noch
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