Dryadenzauber (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
Besuches zu erinnern. Wo hatte sie diese Augen bloß schon einmal gesehen? Sie fasste sich. „Ich brauche ein Schwert, einen Helm und ein Kettenhemd“, bat Julie, „kann ich das alles hier bekommen?“
„Sicher“, gab der Schmied zurück, „ich muss dich nur vermessen.“ Mit behutsamen Bewegungen, die man dem Koloss gar nicht zugetraut hätte, spannte der Schmied einen langen Baumwollfaden an verschiedenen Stellen um Julie herum und vermaß so ihren Kopf, die Arme und die Schultern. Dann drückte er Julie den Faden in die Hand. Verständnislos sah sie ihn an. „Den Brustumfang - das musst du machen, du bist ein Mädchen“, brummte Urs. Julie kicherte. Schnell schlang sie den Faden um den Oberkörper und markierte die richtige Stelle am Garn, ganz so wie sie es bei Urs gesehen hatte.
„Gut“, brummte der Bärtige, „es sind noch zwei vor dir; das Kettenhemd ist in vier Wochen fertig, das Schwert und der Helm sind es in sechs.“
Julie bedankte sich und trat aus der Schmiede heraus ins
Freie. Die Sonne blendete sie. Julie kniff die Augen zusammen. Sie konnte nicht viel sehen, aber was sie sah, gefiel ihr: Gerade kamen Daan und Mathys auf sie zu. Gemeinsam gingen die Freunde zurück zum Zeltplatz.
Es waren nur noch acht Gruppen insgesamt übrig. Mit den acht Anwärterinnen und den sechzehn Gefährten wohnte nur noch ein klägliches Häufchen von vierundzwanzig Jugendlichen auf dem Zeltplatz. Die nicht mehr benötigten Zelte waren abgebaut worden, so dass nun viel mehr Platz im Lager war. Jeweils zwischen zwei Zelten hatte man Feuerstellen eingerichtet, hier brannten ab dem Nachmittag entspannende Feuer. Die Luft war warm und voller Klänge, denn etliche Tallyner spielten ein Instrument und trafen sich im Sommer, um an irgendeiner Ecke der Stadt Musik zu machen. Einige der Gefährten hatten Tische und Schemel nach draußen gebracht, so dass die Zelte im Moment fast nur zum Schlafen und Umziehen benutzt wurden. Julie mochte es, wenn die Kinder aus Tallyn inmitten der Zelte herumrannten. Obwohl es erst später Vormittag war, wärmte die Sonne angenehm. Daan und Mathys befanden sich auf dem Weg zum Tjosten; Julie saß auf einem der Schemel vor dem Zelt, in den Händen eine dicke Nadel und ein Stückchen gelochten Leders. Sie nähte eine Tasche zum Aufbewahren von Zunder. Die Tasche sollte nicht groß werden, aber es war mühsam, die Nadel durch das feste Leder zu bekommen, obwohl die Löcher vorgebohrt waren. Es mussten ein Feuerstein, ein rauer Eisenstab und ein wenig Flachs hineinpassen. Das Leder war gefettet, um Feuchtigkeit abzuhalten, und die Tasche hatte eine Schlaufe, mit der man sie am Gürtel festmachen konnte.
Julie hatte gerade die letzten Stiche gemacht, als sie sich über die plötzliche Aufregung auf dem Burghof wunderte. Es gab einen regelrechten Menschenauflauf, aber schon nach wenigen Augenblicken war alles vorbei und der Platz so leer wie zuvor. Verwundert machte Julie einen langen Hals, vielleicht konnte sie ja noch erspähen, um was es gegangen war? Sie war eigentlich nicht besonders neugierig, aber das gerade war merkwürdig gewesen. Doch jetzt war nichts Ungewöhnliches mehr zu entdecken. Achselzuckend wandte Julie sich wieder dem Zundertäschchen zu, um es zu füllen.
Keine halbe Stunde später trat Chris an Julie heran. In seinem ernsten Gesicht spiegelten sich Mitleid und Besorgnis. „Julie, ich muss mit dir reden. Können wir ins Zelt gehen?“
Julie schluckte. Chris wirkte so angespannt und seine Stimme ließ auch nichts Gutes ahnen. Sie war sicher, dass sie das, was jetzt kam, nicht würde hören wollen. Doch was blieb ihr übrig? Folgsam ging Julie in das Zelt; es war leer bis auf Chris und sie selbst. Sie sah nur seinen Rücken. Chris brauchte eine Ewigkeit – oder war es nur ein Moment? – um sich umzudrehen und mit dem Sprechen zu beginnen. „Es geht um deinen Vater …“
Fassungslos und reglos hörte Julie zu. Als Chris endete, verabschiedete sich Julie nicht einmal. Sie ließ ihn einfach stehen und rannte in Richtung Burg. Völlig außer Atem kam Julie an der Treppe an. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, das lag nicht nur an der Anstrengung des kurzen Sprints; viel mehr drückte sich darin die Angst um ihren Vater aus. Er war hier, hier in Tallyn, und er hatte den Angriff des Vogts nur knapp überlebt! Julie nahm immer zwei Stufen auf einmal und kam dann japsend in der großen Halle zum Stehen. Ihr war gerade eingefallen, dass sie gar nicht wusste, in welcher
Weitere Kostenlose Bücher