Dryadenzauber (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
Kammer sich ihr Vater befand. Sie war ja einfach, ohne auf Chris zu warten oder ihm die entsprechende Frage zu stellen, losgestürmt. Tief saß die grauenhafte Angst in ihrem Herzen, dass ihr Vater es nicht schaffen könnte. Sie hatte doch nur ihn, er durfte noch nicht sterben!
Julie merkte nicht, wie ihr die Tränen in kleinen Sturzbächen über die Wangen strömten. Verzweifelt suchte sie jemanden in der Burg, der Auskunft geben konnte. „Hallo? Wo seid ihr?“, rief sie schluchzend. Anouk eilte aus der Kammer, in der Herr Denes lag.
Julie stürzte ihr sofort entgegen. „Wo ist mein Vater, wie geht es ihm?“, keuchte sie.
„Ruhig, Kind, er ist hier. Ich kann nichts Genaues sagen, aber ich denke, er kommt durch. Leung Jan kümmert sich um ihn, und ich kümmere mich auch. Er hat die beste Pflege, wir tun was wir können.“
„Kann ich zu ihm, bitte ich muss ihn sehen!“, flehte Julie unter Tränen.
Anouk war sichtlich hin- und hergerissen.
„Bitte! Was, wenn er es nicht schafft? Ich muss noch einmal zu ihm!“
Wortlos machte Anouk einen Schritt zur Seite. Jetzt, wo der Weg frei war, hatte Julie es nicht mehr ganz so eilig. Langsam ging sie auf die Tür zu. Was würde sie nur erwarten? Der Raum war mit seinem kleinen Nischen-Fenster ähnlich dem, den Julie schon mehrmals bewohnt hatte. Leung Jan stand am Fenster und nickte ihr ernst zu. Das Klappern von Julies Ledersohlen auf dem Steinboden schien unangemessen laut. Unwillkürlich trat Julie vorsichtiger auf. Es war glücklicherweise dämmerig, so konnte sie nicht gleich auf Anhieb das Ausmaß der schweren Verbrennungen sehen, die Herr Denes erlitten hatte. Das Gesicht war bis auf die Augen mit dünner Gaze bedeckt; sein linker Arm und sein linkes Bein waren auf geplättete Leinentücher gelegt worden und ebenfalls abgedeckt. Er schien zu schlafen. Weinend nahm Julie die gesunde Hand von der Bettdecke und vergrub ihr Gesicht darin.
Anouk war hinter sie getreten. „Wir haben ihm sofort etwas gegen die Schmerzen und viel zu trinken gegeben. Die Verbrennungen wurden von einem tardischen Feuer hervorgerufen, sie lassen sich mit Magie nicht heilen. Es kann nur der Vogt gewesen sein. Kein anderes Wesen benutzt diese grausame Waffe. Die Verbrennungen breiten sich noch acht Minuten nach dem Kontakt aus, deshalb ist er so schwer betroffen. Wir können nur abwarten und beten.“
Anouk rückte einen Schemel zurecht. Hilflos sank Julie auf das samtbezogene Polster. Das Warten hatte begonnen.
Leung Jan hatte die ganze Zeit kein Wort gesagt; jetzt schob er Julie unaufgefordert ein kleines Talglicht hin. Es war kalt in dem Raum. Sorgsam zog Anouk die Decken über die gesunde Haut von Julies Vater. Es war wichtig, dass er nicht zu sehr auskühlte.
Julie wusste nicht, wie lange sie so gesessen hatte. Selbst der entfernt ertönende Gong zum Essen hatte sie nicht aus ihrer Lethargie reißen können; noch immer wartete sie darauf, dass ihr Vater endlich aufwachte. Doch nun forderte die Natur ihr Recht; Julie erhob sich mit steifen Gelenken und eiskalten Füßen. Ihr linker Fuß war eingeschlafen, doch nicht einmal das scheußliche Kribbeln drang wirklich in ihr Bewusstsein. „Ich gehe mal zum Abtritt, ich bin gleich wieder da“, sagte Julie zu Leung Jan gewandt. Ihre Stimme klang seltsam, war es wirklich ihre eigene? Julies Hals tat weh, und noch bevor sie auf dem Gang vor der Kammer war, liefen ihr die gesammelten Tränen der letzten Stunden, in denen sie nicht geweint hatte, über die Wangen.
Die Verletzung ihres Vaters war schwer. Herr Denes starb nicht, aber er wachte auch nicht aus seiner Bewusstlosigkeit auf. Anfangs war Julie nur geschockt gewesen, aber Tag um Tag nahm die Wut zu, bis dieses Gefühl schließlich die Oberhand hatte.
Julie saß nun immer in ihrer freien Zeit am Bett ihres Vaters. Anfangs hatte Mathys ihr noch Gesellschaft geleistet, aber je mehr Tage vergingen, desto häufiger hatte er sich wieder dem Training zugewandt.
An diesem Tag grübelte Julie darüber nach, wie sie sich ohne Training im Wettkampf behaupten sollte. Sie konnte sich aber auch nicht entschließen, ihren Vater alleine zu lassen. Mitten in diese Gedanken hinein vernahm Julie ein Geräusch vom Bett. Sie schreckte hoch, sah ihn an. Er hatte die Augen geöffnet!
„Julie!“, krächzte er, „es geht dir gut!“ Die Regungen seines Gesichtes waren wegen der Verbände nicht zu sehen, aber Julie sah, wie Tränen in Herrn Denes Augen traten.
„Papa!“, schluchzte Julie.
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