DS062 - Das Unheimliche Königreich
schrie gellend. Renny versuchte auf die Füße zu kommen. Was mißlang, während der Leibwächter geistesgegenwärtig floh. Einer der Zerlumpten holte ihn ein und schlug ihn mit einem Knüppel zu Boden. Undeutlich ahnte Renny, daß die Verwahrlosten Revolutionäre waren, die einen ähnlichen Plan hatten wie er, doch die beiden Pläne kollidierten miteinander. Wenn die angeblichen Bettler das Mädchen und ihn verschleppten, konnte viel Zeit vergehen, bis Cozonac ihn, Renny, herausgepaukt hatte. Bis dahin hatte der König sich so hinter seinen Mauern verschanzt, daß an ihn nicht mehr heranzukommen war.
Der Mann mit der Krücke befahl seinen Mitarbeitern, das Mädchen und Renny in den Wagen zu laden und abzutransportieren. Sie versuchten, den Befehl zu befolgen. Renny widerstrebte, soweit seine Verfassung es zuließ, doch die Entführer waren stärker.
Plötzlich teilte sich die Menge, ein riesiger Mensch rückte in Rennys Blickfeld. Der Mensch hatte eine dunkelbraune Haut, lange, schwarze Haare und eine Kartoffelnase. Er trug eine abgewetzte Jacke, kein Hemd und enge Breeches, die ihm knapp über die Knie reichten. Er war barfuß. Mit mächtigen Armen schob er die Zerlumpten auseinander wie ein Brustschwimmer das Wasser und kämpfte sich zu Renny und dem Mädchen durch.
»Geht weg«, sagte er ruhig zu den Revolutionären. »Laßt die Prinzessin in Frieden. Geht nach Hause.«
Die Revolutionäre brüllten wütend durcheinander, einer von ihnen zückte ein Messer. Der riesige Mensch trat es ihm aus der Faust, ehe er damit Unheil anrichten konnte. Das Gebrüll schwoll an, die Männer stürzten sich mit Stöcken, Keulen und Pflastersteinen auf den Giganten, doch der Gigant fegte sie von den Füßen, als wären sie Schaufensterpuppen. Renny erholte sich von dem Hieb, den er erhalten hatte, und schaltete sich ein, auch der Chauffeur erwachte wieder zum Leben und bewies, wie vorzüglich er als Raufbold ausgebildet worden war. Die Angreifer zogen sich zurück.
Renny atmete auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Der Chauffeur warf sich in die Brust und musterte stolz das Mädchen, als hätte er die Schlacht allein ausgetragen. Der Gigant kniete sich demütig auf das dreckige Pflaster und neigte den Kopf. Leutselig trat die Prinzessin zu ihm hin.
»Ich bin dir sehr verbunden«, sagte sie. »Du hast mir geholfen. Wer bist du?«
»Botezul«, sagte der Gigant respektvoll. »Ich komme aus den Bergen.«
»Botezul«, sagte das Mädchen. »Ein ungewöhnlicher Name.«
»Ich hab gehört, daß eine Revolution sein soll«, sagte der Gigant schüchtern. »Ich will keine Revolution. Ich bin in die Stadt gegangen, um in die Armee auf genommen zu werden. Zufällig hab ich die Schlägerei gesehen und ... und ...«
»Und hast mich erkannt«, half ihm das Mädchen.
»Von Bildern«, bekannte der Gigant Botezul.
»Steh auf«, befahl die Prinzessin.
Botezul erhob sich, hielt aber weiter den Kopf gesenkt, als hätte er die Absicht, sein Gesicht zu verbergen.
»Du möchtest also dem König helfen«, sagte die Prinzessin.
»Ja«, sagte Botezul.
Die Prinzessin dachte nach, dann lächelte sie milde.
»Wie würde es dir gefallen, mein persönlicher Leibwächter zu werden?« fragte sie.
Botezul ging prompt wieder in die Knie und drückte seine Stirn auf das Kopfsteinpflaster. Renny gewann den Eindruck, daß der Gigant sich nichts sehnlicher wünschte, als Gardist der Prinzessin zu werden, und ihm graute bei der Vorstellung, sich mit diesem gräßlichen Menschen auseinandersetzen zu müssen, wenn er seine Absicht, das oberste Triumvirat Calbias zu entführen, zu verwirklichen trachtete.
»Sehr schön«, erklärte das Mädchen zufrieden. »Von jetzt an wirst du auf mich aufpassen. Steig in den Wagen, du fährst mit uns zum Schloß.«
Abermals kam Botezul auf die Füße und tappte unter allen Anzeichen dümmlichen Stolzes zu der Limousine. Der Fahrer klemmte sich hinters Lenkrad, nachdem die Prinzessin und Renny im Fond Platz genommen hatten, Botezul setzte sich zu dem Fahrer. In halsbrecherischer Geschwindigkeit jagte das Vehikel durch die Straßen zurück zum Palast, als wäre der Chauffeur glücklich, noch einmal mit dem Leben davongekommen zu sein, und trachte, diesem Ort des Unheils schnell zu entfliehen.
Gegen Abend fing es auch in San Blazna an zu regnen, außerdem senkte sich Nebel auf die Straßen, auf den Fluß und auf den Flughafen und rührte sich in den nächsten beiden Tagen nicht von der Stelle. Unter diesen
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