DS087 - Der purpurne Drache
in Rekordzeit ins Parterre und auf die Straße hinunterbringen würde, vielleicht gerade noch rechtzeitig, um sich dem großohrigen Beobachter an die Fersen zu heften, hörten sie Doc in der Empfangsdiele seinen merkwürdigem Trillerlaut ausstoßen.
Monk wollte stehenbleiben, hören, was er zu bedeuten hatte. Ham auch. Aber beide wußten, sie hatten keine Zeit zu verlieren, und so rannten sie weiter, Chemistry hinter ihnen her.
In der Empfangsdiele legte Doc in diesem Augenblick gerade den Telefonhörer auf.
»Schon wieder einer«, sagte er nur.
Renny schaute verblüfft. »Meinst du damit, daß schon wieder ein ›Absolvent‹ verschwunden ist?« fragte er ungläubig.
Doc nickte, mit einem ganz merkwürdigen Ausdruck in seinen goldflackernden, braunen Augen. »Sid Lenner«, sagte er.
Sid Lenner war einer von Docs ›Lieblingsabsolventen‹ gewesen, denn er hatte mehr Intelligenz gezeigt als andere Absolventen. Er hatte sich zu einem tüchtigen Mechaniker entwickelt, und so hatte Doc ihn angestellt gehabt, damit er die Jacht und seine Wagen instand hielt.
Vor einer Woche hatte Lenner Urlaub erhalten, den er benutzen wollte, um angeln zu gehen.
»Seine Frau hat angerufen«, sagte Doc gepreßt. »Lenners Skelett ist an einem Bach in der Nähe von Liberty, New York, aufgefunden worden.«
»Sein Skelett?« Rennys große Fäuste schlossen und öffneten sich, als ob er sie gegen jemand gebrauchen wollte. Den Rest konnte er sich selbst zusammenreimen. Lenners Tod würde auch als alter Mord ausgelegt werden.
Lenner war nicht sein wirklicher Name. Einstmals war er ein Unterboß einer berüchtigten New Yorker Gangsterbande gewesen – und dann war er in Docs Spezialklinik gelandet.
Als Doc seinem Fall nachging, hatte er entdeckt, daß Lenner verheiratet war, aber seine Frau hatte ihn verlassen, als sie dahintergekommen war, daß er ein Krimineller war. Schon während sich Lenner in seiner Klinik befand, hatte Doc seine Frau so weit finanziell unterstützt, daß es ihr an nichts fehlte, obwohl Lenner auch nach seiner Entlassung nicht erfuhr, daß er verheiratet gewesen war.
Aber natürlich hatte sich die Polizei, als sie Lenners Leiche fand, mit seiner Witwe in Verbindung gesetzt. Auch in diesem Fall glaubte sie es mit einem alten Mord zu tun zu haben, bei dem Nachforschungen nicht mehr lohnten.
»Es muß da irgendwo ein verbindendes Element geben«, murmelte Renny. Er hatte Lenner, während der für Doc tätig gewesen war, schätzengelernt.
»Lenner stand seinerzeit auch mit Pal Hatrack in Verbindung«, erinnerte ihn Doc.
Renny runzelte die Stirn. Hatrack war tot, und das letzte Jahrzehnt seines Lebens hatte er im Zuchthaus verbracht. Warum sollten deshalb jetzt zwei Männer, noch nach seinem Tod, ermordet werden? Rache schied damit doch als Tatmotiv aus.
Hatrack war in den Tagen der Prohibition allerdings einer der mächtigsten Männer der Unterwelt gewesen und hatte seine Finger in den meisten großen Dingern, die damals gedreht worden waren, stecken gehabt. Aber auch das erklärte immer noch nicht, daß zwei seiner einstigen Kumpane jetzt umgebracht worden waren.
Der große Ingenieur schüttelte verwirrt den Kopf.
Renny war nicht der einzige, den der Fall verwirrte. Der Sergeant vom Dienst in der Polizeistation in der Achtundvierzigsten Straße machte ein Gesicht, als ob er seinen Ohren nicht traute.
Der Sergeant war ein stämmiger Mann. Normalerweise war sein Teint rosig-frisch. Jetzt war er dunkelrot.
»Gehen Sie mit Ihren Märchen anderswohin!« röhrte er. »Ich habe keine Lust, mir noch länger Ihr Geschwätz anzuhören, nur weil Sie in den Knast gehen wollen, um ein Dach über dem Kopf und ein paar Gratismahlzeiten zu bekommen!«
Der Mann vor seinem Tisch senkte den Kopf, aber er ging nicht. Seine Kleider waren alt, aber sauber. An seiner Schirmmütze steckte eine Taxifahrerplakette.
»Ich sage die reine Wahrheit, Sarge«, beteuerte er verzweifelt. »Ich habe den Kerl gekillt. Wollte es gar nicht. Tat es aber. Und nun muß ich dafür die Strafe zahlen.«
Nur mit Mühe gelang es dem Sergeant, sich zu beherrschen. Er pflanzte beide Ellbogen auf die Tischplatte und schob sein Kinn vor. Mit einem gefährlichen Unterton in der Stimme sagte er: »Los, dann erzählen Sie mir Ihre Geschichte noch einmal.«
Dem Taxifahrer entging offenbar dieser drohende Unterton. Er drehte seine Schirmmütze in den Händen.
»Wie ich Ihnen schon sagte, Sarge. Gestern abend war ich in der Green Mill, als dieser Kerl
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