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Dschiheads

Dschiheads

Titel: Dschiheads Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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Die Schüler wandten sich betreten von mir ab, keiner ließ auch nur eine Geste des Mitleids erkennen. Sie hatten Angst und ver mieden alles, was den Zorn des Großarchons auf sie hätte ziehen können.
    Anzo zählte der Großarchon fünfzehn auf jede Hand. Nur am Anfang zuckte er zusammen, dann ließ er es über sich ergehen und blickte den Großarchon mit seinen dunklen Augen ruhig an.
    Â»Was sagt er?«, fragte der Großarchon und sah mich misstrauisch an.
    Â»Er hat nichts gesagt, Eure Heiligkeit«, versicherte ich.
    Â»Lüge nicht!«
    Â»Ich sage die Wahrheit, Eure Heiligkeit«, flehte ich. »Er hat nichts gesagt.«
    Â»Ich spüre seinen teuflischen Trotz«, rief der Großarchon zornig. »Und den werde ich ihm austreiben, diesem gottlosen kleinen Hund!«
    Die Sonne stand bereits über dem Horizont, und endlich durften wir nach Hause gehen. Nur Anzo nicht. Ich blieb an der geschlossenen Tür stehen und lauschte.
    Â»Zieh die Hose runter!«, hörte ich den Großarchon brüllen. »Begreifst du, was ich dir befehle, du Krüppel? Hose runter!«
    Und dann hörte ich die Gerte auf nackte Haut herabsausen, immer wieder und wieder und wieder. Das war der einzige Laut, den ich durch die Tür hörte.
    In diesem Moment hätte ich dem Großarchon am liebsten mein Messer in den Kropf gestochen – so wie er Grotes Messer ins Herz des Dongos gestoßen hatte.
    Was habe ich da für entsetzliche Gedanken?, schoss es mir durch den Kopf.
    Ich schlich nach hinten in die Haupthalle des Tempels. Grelle Lichtfinger stachen durch die Fensterschlitze in den dunklen Raum. Ich kniete vor dem Altar nieder und blickte zu dem großen Gemälde auf, das die vier tanzenden Heiligen zeigte – Mohavir, Mose, Mahatma und Mohammed –, wie sie zu Füßen des Allmächtigen, auf einem Bein stehend, das andere angewinkelt, die Hände erhoben und sich mit den Fingerspitzen berührend, ihren Reigen vollführten. Darüber das Antlitz Gottes: zwei dunkelviolette Augen, wie glitzernde Steine, unnahbar kalt und stechend. Der Blick ließ mich schaudern, obwohl es heiß war in der Halle. Da war keine Güte, keine Gnade. Trotzdem kniete ich nieder und flehte Ihn an.
    Â»Warum lässt Du es zu, dass er so leidet, allmächtiger, barmherziger Gott? Er hat sich doch für eines Deiner Geschöpfe eingesetzt, dessen verzweifelte Schreie er hörte.«
    Ich flehte, dass Er wenigstens die Schmerzen von Anzo nehmen möge, weil er selbst ja nicht um Gnade bitten konnte. Und ich bat um Vergebung wegen der schrecklichen Unachtsamkeit, die mir widerfahren war, als sie den gefangenen Dongo getötet hatten und ich in der Aufregung unser gemeinsames Geheimnis verraten hatte.
    Der Allmächtige: nur unergründliche Augen und wallendes dunkles Haar, keine Nase, kein Mund. Stattdessen loderte zwischen Seinen erhobenen schmalen Händen eine Flamme, die Er gegen den Wind aus der Wüste schützte. So hatte Er die Urgemeinde hierhergeführt, um den Dschiheads, wie sie einst spöttisch genannt wor den waren – ein Name, den sie längst mit Stolz trugen –, auf Paradise eine neue Heimat zu geben.
    Der Allmächtige starrte mich an. Ich wandte mich ab, ging hinaus und tastete tränenblind nach meinen Sandalen, die unterhalb der Treppe zum Tempelvorplatz standen.
    Ich erinnerte mich daran, wie mir mein Vater, als er mir meine ersten Sandalen kaufte, eingeschärft hatte, den Tempelvorplatz und erst recht den Tempel niemals – niemals! – mit Schuhen an den Füßen zu betreten. Das sei eine gotteslästerliche Sünde. Den Sinn dieser Vorschrift begriff ich nie, waren die Füße der Dorfbewohner doch meistens schmutziger als ihre Schuhe, die an der Treppe abgestreift werden mussten. Und die Steinplatten waren abends, selbst wenn sie mit Flusswasser geflutet worden waren, oft so heiß, dass man sich die Füße verbrannte.
    Doch ich hatte eine Lektion nicht vergessen. Es lag einige Jahre zurück: Ein Händler hatte sein Boot am Landungssteg festgemacht und kam heraufgestapft, um seine Waren anzubieten. Vielleicht kannte er die Vorschrift nicht, jedenfalls streifte er seine Schuhe nicht ab, als er die Treppe zum Tempelvorplatz erstieg. Er blickte erschrocken, als er sich im Nu umringt sah und gepackt wurde. Sie schleiften ihn zum Bock, banden ihn darauf fest und rissen ihm die Schuhe von den Füßen.

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