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Dschiheads

Dschiheads

Titel: Dschiheads Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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das eine letzte Prüfung war, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Nur die Standhaften werden letztlich der Entrückung teilhaftig.«
    Ailif schüttelte den Kopf. »Es ist nicht zu fassen. Lieber weiterträumen, als sich einzugestehen, dass man in einem kollektiven Wahn gefangen ist. Der Traum endet nie. Aber die Reißzähne hat man den Dschiheads gezogen.«
    Â»Wie meinst du das?«, fragte Maurya.
    Â»Es gibt religiöse Bewegungen, die sind missionarisch und aggressiv, auf Expansion bedacht. Das sind die Gefährlichen. Und es gibt hermetisch-isolationistische, die sich einigeln, die sich selbst genug sind. Die Dschiheads zähle ich zu dieser Kategorie. Von ihnen geht keine Gefahr mehr aus.«
    Â»Wenn du dich da mal nicht täuschst, Ailif.« Maurya hob die Hände. »Es ist eine historisch belegte Tatsache, dass Hexenjagden auf Gläubige, die von ihrer Lehre fest überzeugt sind, diese in ihrer Militanz nur noch bestärken, weil sie sich in die Enge getrieben fühlen.«
    Â»Ich hasse diese Frömmler«, schnaubte Ailif.
    Â»Das weiß ich. Und du hast deine Gründe, da bin ich mir sicher. Aber du kannst nicht davon ausgehen, dass jeder fromme Mensch ein Geisteskranker ist oder ein Idiot. Frömmigkeit kann auch etwas Positives sein.«
    Â»O ja? Ich kenne die diesbezüglichen Untersuchungen. Ein frommer Mensch säuft nicht so viel wie ein Ungläubiger – was ich bezweifle, er tut’s nur heimlich. Er setzt mehr Kinder in die Welt – was ich für ein höchst zweifelhaftes Verdienst halte. Er lässt sich weniger oft scheiden, beweist mehr Familiensinn, ist ein besserer und verantwortungsvollerer Bürger und wählt zuverlässig immer wieder seinen rechten Abgeordneten und so weiter und so fort. Habe ich etwas vergessen? Und die Kehrseite: Er ist weniger intelligent, ist intolerant und unnachsichtig gegen Andersgläubige. Er ist rechthaberisch und neigt eher zu Gewalt.«
    Maurya musste wieder an ihren Vater denken. »Das stimmt nicht. Es gibt Ausnahmen.«
    Â»Die gibt es immer. Aber unter den Dschiheads wirst du sie vergeblich suchen.«
    Â»Warst du eigentlich niemals fromm, Ailif, oder wenigstens gläubig – als Kind, als Heranwachsender?«
    Â»Doch«, erwiderte Ailif mit einem säuerlichen Grinsen. »Als kleiner Junge. Ich erinnere mich an eine Nacht in Ballymoney. Mein Vater hatte dort zu tun und nahm mich mit. Wir fuhren mit dem Aranyavas -Express, das weiß ich noch. Die Stadt erschlägt einen, vor allem wenn man erst acht ist. Spätabends im Hotel – Vater schnarchte neben mir – lag ich im Bett und konnte nicht einschlafen, so voll war ich von den Eindrücken der großen Stadt. Mir standen noch immer die Bilder der Pedestralen vor Augen, die in Ballymoney durch die Straßen ziehen, mit ihren feuerroten Haarbüscheln, den doppelten Augenpaaren, mit denen sie rundum sehen können, ohne den Kopf zu wenden, und den bis zu vier Meter hohen gezackten Rückenkämmen, die mit grellen Farben bemalt und mit Hunderten von kleinen Spiegeln beklebt sind oder als wandelnde Reklametafeln für Frühstücksflocken, Babynahrung und Waschmittel, für Reisebüros und Servicecenter dienen. Erst am folgenden Tag wurde mir klar, was für harmlose Tölpel diese flugunfähigen Echsen sind, die inmitten des Verkehrs durch die Straßen schlurfen, mit geblähten Membranen Verkehrsgeräusche imitieren und sich seelenruhig auf den Plätzen niederlassen, um sich zu paaren oder sich auszuruhen und auf die Fütterungsroboter zu warten. Und wenn diese kommen, beginnt eine Fressorgie – die Pedestralen zerfetzen mit ihren Schnäbeln das Synthfleisch und schlingen es schmatzend und gurgelnd hinunter … In jener Nacht aber fühlte ich mich von diesen Riesenviechern bedrängt, ja, ich hatte so viel Angst vor ihnen, dass ich die Augen nicht zu schließen wagte und jeden Moment damit rechnete, ein Riss in der Wand würde sich auftun und ein Drachenkopf mit feuerrotem Haarbüschel würde sich ins Zimmer zwängen. Ich lag also mit Herzklopfen im Bett und starrte an die Decke. Und da sah ich es: ein winziges rotes Licht, das in einem geheimnisvollen Rhythmus blinkte. O Gott, dachte ich, jetzt hat er mich entdeckt, jetzt muss ich beten – aber mir fiel partout nichts ein, was ich hätte beten können. Mein Kopf war wie leergefegt. Ich war fest davon

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