Dschiheads
Eine stumpfe Dunkelheit in unergründlichen Brunnenschächten. Manchmal â und Maurya war geneigt, sehnsüchtig danach zu greifen â leuchtete ein ferner Schimmer in der Tiefe auf, der eine Erinnerung sein mochte, aber bevor sie Gestalt annehmen konnte, zog sie der Strudel wieder hinab. Was blieb, waren ein leerer Blick und ein Röcheln aus einem qualvoll verzerrten Mund.
In ihrer Jugend war Mutter eine Schönheit gewesen, von vielen begehrt und geliebt. Schwarzes gewelltes Haar und lebendige grüne Augen, die meist belustigt geblitzt hatten. Nun war sie schlohweiÃ, das Gesicht erschlafft, blass und ausdruckslos.
Werde ich auch so enden?, fragte sich Maurya bang.
Ein sanfter Windstoà bewegte die herbstfarbenen Blätter des Weins. Ihre Mutter hob den Kopf und lauschte.
Was bin ich für dich, Mutter? Ein Nebelfetzen, der aus der Vergangenheit herauftreibt, konturlos und ungreifbar?
»Hallo, Mutter! Ich binâs, Maurya«, krächzte eine kleine rote Echse, die halb verborgen im Laub der Pergola saà und sie mit einem schwarzen Knopfauge musterte. Dann neigte sie den Kopf mit dem Zackenkamm, als lauschte sie einer Antwort.
| 12 |
Wir hatten am Morgen keinen Unterricht, trotzdem wagte ich es erst am späten Nachmittag, mich flussabwärts zu stehlen und zu Anzos Haus zu gehen.
Es lag verlassen da. Weder Anzo noch seine Mutter waren zu Hause. Die Pflanzen auf der Terrasse und im Hof waren seit dem Vortag nicht gewässert worden. Auf dem Herd stand unberührt ein Eintopf aus Kartoffeln, Zucchini, Kürbis und getrocknetem Fisch. Er war kalt. Ich hatte Hunger, aber ich traute mich nicht, mir mit den Fingern ein Stück herauszufischen.
Hühner gackerten und sahen mich erwartungsvoll an, ein Bein unschlüssig gehoben. Die Ziege hatten sie losgeschnitten, der Rest des Seils hing noch am Futtertrog. Wahrscheinlich hatten sie das Tier in den Tempel gebracht â man würde es auf dem Tempelplatz dem Einen und Einzigen opfern und das Fleisch in einem Festmahl im engsten Kreis der Vertrauten des GroÃarchons verzehren. Die Ziege gehörte ihnen nicht, das Tier hatte Anzo und seiner Mutter Milch geliefert, aber das war diesen Menschen egal.
Stille umgab mich. Einen Moment lang überwältigte mich der beängstigende Gedanke, dass die Entrückung stattgefunden hatte, dass sie alle heimgeführt worden waren und ich als Einziger zurückgeblieben war. Mir blieb das Herz stehen, so bang war mir zumute, und ich atmete keuchend. Ich eilte zum Flussufer hinunter, konnte weit und breit kein Boot entdecken und kehrte ins Haus zurück. Ein angstvolles Winseln entrang sich meiner Brust.
Doch dann hörte ich plötzlich Stimmen, die sich näherten, und versteckte mich im Garten zwischen den Büschen. Es waren Michael und Gabriel, die Gehilfen des Schlachters â die beiden Erzengel, wie sie der GroÃarchon stolz nannte. Mich überkam ein Gefühl der Erleichterung, dennoch hielt ich es für besser, in meinem Versteck zu bleiben.
Michael und Gabriel nutzten die Gelegenheit, sich nacheinander von hinten zu nehmen. Ich hörte sie mehr bei ihren Verrichtungen, als dass ich etwas sah, und ihr Grunzen und Stöhnen machten mir eine Erektion, was ich eklig fand, aber nicht unterdrücken konnte.
Als sie endlich fertig waren, durchstöberten sie das Haus, öffneten die Schränke, zogen die Schubladen heraus, drehten alle Töpfe und Krüge auf den Regalen um, steckten in die Taschen, was ihnen wertvoll erschien, und sackten die Gläser mit eingemachtem Gemüse und Obst und die Marmelade ein, die Anzos Mut ter eingekocht hatte.
Nach etwa einer halben Stunde zogen sie wieder ab. Ich wartete, bis ihre Stimmen und ihr Lachen verklungen waren, dann ging ich ins Haus. Sie hatten den Inhalt der Schubladen achtlos auf den FuÃboden geleert und sie übereinandergeworfen, hatten die Wäsche von Anzos Mutter aus dem Schrank gezerrt, sich damit den Schwanz gesäubert und sie im Zimmer verstreut, hatten das Tischchen, an dem Anzo und ich immer gespielt und gelernt hatten, mit einem FuÃtritt zerbrochen.
In Anzos Zimmer lagen die farbigen Holzwürfel über den FuÃboden verstreut, mit denen wir so oft Befestigungen gebaut hatten, die jeder Riesenraupenattacke standgehalten hätten. Die Schreib- und Malstifte und sein Zeichenblock lagen ebenfalls auf dem Boden. Ich stöberte herum und fand ein Schulheft unter dem Bett, auf das
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