Dschungel-Gold
Einfachheit des Massensterbens hatte Rafael zuerst selbst entsetzt. So leicht und mühelos unzählige Menschen töten zu können, war unfaßbar und – je länger Rafael sich die Folgen ausmalte – faszinierend. Ein bißchen Saft aus einer aufgeritzten Rinde, und Tausende sind unrettbar verloren. Der Tod im Kristall … durch einen kleinen Hautriß dringt er in den Körper, und jeder Goldgräber, jeder Steinbrecher, jeder Sackschlepper hat zerrissene Hände. Das Gift kann in ihn eindringen, als seife er sich damit ein. Einen garantierteren Tod gibt es nicht!
Rafael brauchte nicht viel: ein scharfes Messer mit langer Klinge, ein Paar Gummihandschuhe und eine leere Konservendose. Bei einem Fischer am Umayan-Fluß besorgte er sich die Handschuhe und die Blechdose, das Messer besaß er bereits, und so zog er los und suchte nach den Bäumen, die ihm die Eingeborenen beschrieben hatten. Es war ein Gewächs mit großen, ovalen Blättern, kirschenähnlichen Früchten und einem dünnrindigen Stamm, der sich leicht einritzen ließ und sofort den milchigen Saft hergab. »Der Baum blutet«, sagen die Dschungelbewohner. Und weil man ihn verletzt hat, rächt er sich mit seinem unheimlichen Gift.
Nach einem Tag der Suche in einem lichteren Teil des Urwaldes fand Rafael eine kleine Gruppe von Upasbäumen. Sie stand von anderen Bäumen etwas abgesondert an einer Lichtung, als hätten sogar die anderen Pflanzen Angst, in ihrer Nähe zu leben.
Rafaels Herz zuckte vor Freude, er faltete die Hände, dankte Gott, dem Herrn, für diese Entdeckung – und ging ans Werk.
Der nächste Tag schon zeigte seinen Erfolg.
Als die Soldatenkolonnen in Schutzanzügen die ganze Bananenplantage abholzten, mit Feuer rodeten und jede Pflanze vernichteten, jubelte Rafael seinen Triumph heraus. »Ja! Ja! Tod! Tod!« schrie er in den Dschungel hinein. »Vernichtet! Alle vernichtet! Brennt! Brennt! Verbrennt alle! Tod euch allen! Bruder – siehst du die Feuer?! Sie sind für dich!«
Seine wahnsinnige Rache hatte nur einen Nachteil: Sie traf die Falschen. Die Unschuldigen. Die Männer, die nichts anderes waren als er selbst: arme Goldgräber. Die Schuldigen gab es in Diwata nicht mehr … Ramos, der damals unbeschränkte Herrscher, war längst getötet worden. Von den Arbeitern, die den Schacht 97 mit über sechzig Goldgräbern zugeschüttet hatten, lebten zwölf nicht mehr, die anderen waren aus dem höllischen Diwata verschwunden und aus den Fängen des Goldberges geflüchtet. Lieber in den Städten stehlen und rauben, als noch weiter tief im Stollen nach Gold zu bohren. Der Traum vom Reichtum verfaulte in der feuchten Hitze des Dschungels. Aber für Rafael war das anders: Jeder, der noch das Goldgestein aus dem Berg karrte, war schuldig am Tod seines Bruders. Ein Schuldiger verdiente seine Strafe, und die hatte bei Rafael nur einen Namen: Tod!
Von da an wurden die Plantagen und alle öffentlichen Einrichtungen streng bewacht. Tag und Nacht streiften Avilas Sicherheitstruppen an den Grenzen entlang, die nachts unter gleißendem Scheinwerferlicht lagen, und schossen auf alles, was sich aus der Dunkelheit bewegte.
Die Statistik konnte sich sehen lassen: neun wilde Schweine, zwei Jaguare, drei Ameisenbären, ein verwilderter Esel, drei Stachelschweine, vier Krokodile beim Landausflug, ein dicker vollgefressener Tapir … und ein menschliches Liebespaar. Sie – eine Hure. Er – ein Mineningenieur.
»Das soll einer begreifen!« schrie Miguel, als man die beiden Leichen zum Rathaus brachte. »Wir haben einen Puff, der Kerl hatte eine eigene Hütte … und die gehen zum Vögeln in den Dschungel! Wer kann mir das erklären?«
Keiner konnte das, und so wurde das Liebespaar in einem Grab für immer vereint, und Pater Burgos sprach die weisen Worte: »Nur Gott kann in die Seelen der Menschen blicken. Es tröstet, daß sie in Liebe starben.«
Aber noch etwas Seltsames geschah in Diwata. Nur kritische Beobachter bemerkten es, und zu ihnen gehörte auch Dr. Falke. Er sagte eines Abends, als sie wie so oft zusammen auf der Terrasse des Krankenhauses saßen, starken Kaffee tranken und eine der vorzüglichen philippinischen Zigarren rauchten:
»Ist Ihnen nicht aufgefallen, daß Belisa öfter mit diesem Tortosa zusammen ist?«
»Ich bin nicht blind«, antwortete Burgos.
»Haben Sie eine Erklärung dafür?«
»Vielleicht hat sie Bauchgrimmen und braucht einen Spezialtee von David?«
»Lassen Sie den Unsinn!« Dr. Falke war deutlich verunsichert. »Sie sitzt
Weitere Kostenlose Bücher