Dschungel-Gold
persönlichen Gegenstände Belisas auf. Dazu gehörten ein Spiegel und eine Kosmetiktasche mit verschiedenen Make-ups, Lippenstiften und Pudern.
Und eine Bibel.
Enrique García hatte sie seiner Tochter mitgegeben. »Sie ist Kraft!« hatte er ihr ans Herz gelegt. »Wenn du glaubst, es geht nicht mehr – hol dir neue Kraft aus den heiligen Worten. Lies die Geschichte von Hiob, und du weißt, wie glücklich du bist mit dem, was dir gegeben ist.«
Enrique García war ein tief religiöser Mensch. Sein Hiob-Leben bestand darin, drei Söhne zu haben, die aus der Art geschlagen waren. Die Mädchen machten ihn glücklich. Jessica, die Jüngste, war eine der reichsten Frauen des Landes geworden, und Belisa war auf dem Wege, es auch zu werden. So gesehen meinte es Gott gut mit ihm.
Belisa sah sich in ihrem neuen Haus um, setzte sich hinter den langen Tisch mit der Goldwaage und legte die Hände übereinander. Von draußen drang der Lärm der Steinzerkleinerer und der Rüttelsiebe fast ungedämpft bis zu ihr herein. Wenn sie aus der Tür trat, tauchte sie ein in die Masse der verdreckten, schwitzenden, stinkenden Digger, die, mit offenem Mund keuchend, die Säcke heranschleppten und ihre Nummer registrieren ließen. Ein Riesenwurm von Menschenleibern, der sich durch Geröll, Matsch, Pfützen und Müll heranwälzte. Ununterbrochen, Stunde um Stunde, schweißglänzende, steinmehlgepuderte Körper.
Ramos, der mit Belisa die neue Hütte betreten hatte, setzte sich auf die Kante des Tisches. Außer dem Stuhl, auf dem Belisa saß, gab es keine andere Sitzgelegenheit. Nur das Bett.
»Zufrieden?« fragte er.
Sie nickte mehrmals. »Ja. Sehr.«
»Meinen Sie das im Ernst?«
»Sie hören es doch.«
»Sie wollen wirklich hier wohnen?«
»Hier gehöre ich hin. Mitten unter meine Männer. Hier sehe ich alles. Hier nehme ich das Gold an. Ohne Schwund, wie es bisher so überzeugend hieß. Wenn man Käse schneidet oder Wurst, Reis abwiegt oder Obst verkauft, kann es Schwund geben. Nicht beim Gold. Das verdunstet oder verfault nicht.«
»Es geht mehr Gold verloren als Sie glauben.«
»Bisher. Jetzt bin ich hier!«
»Sie wissen nicht, mit welchen Tricks die Digger arbeiten.«
»Ich werde die Tricks lernen.« Sie erhob sich von ihrem Stuhl. Ein Gedanke war ihr gekommen. Sie ging zu der Truhe, schloß sie auf und holte die dicke Bibel heraus. Nachdem sie den Staub von den Buchdeckeln gepustet hatte, legte sie die Bibel auf den Tisch. Neben die Goldwaage. Ramos schob die Unterlippe vor. Er ahnte, was das bedeuten sollte.
»Glauben Sie, das hält die Kerle davon ab, Sie zu betrügen?« fragte er spöttisch.
»Es ist einen Versuch wert.«
»Bekommt jeder Sackträger von Ihnen einen Bibelspruch? Außer seiner Blechmarke mit der Nummer ein frommes Wort? Da kommen Sie zu spät. Seit zwei Tagen wandert Pater Burgos durch Diwata und verteilt Heiligenbildchen. Die heilige Barbara. Schutzpatronin der Bergleute. Der Pater ist ein Komiker. Und nun legen Sie die Bibel neben die Goldwaage. Das ist zuviel Himmel!«
»Fangen wir an.« Belisa setzte sich hinter den Tisch, klappte das Wiegebuch auf und rückte die Gewichtssteine näher an die Waage. Vor der Hütte standen Avilas Männer. Zehn Schwerbewaffnete. Ein Schutzwall um den neuen Boß. »Die Ablieferer sollen kommen.«
Der erste Goldgräber mit einem Säckchen Gold, aus dem Quecksilberbrei herausgezogen, trat ein. Er legte die Ausbeute auf den Tisch und schielte hinüber zu Ramos, der in den Hintergrund getreten war. Belisa schüttete das Gold auf die Waage. Kleine Körner, größere Nuggets, Goldstaub wie feiner Sand. Aber sie legte noch kein Gewicht in die andere Waagschale.
»Bist du ein ehrlicher Mensch?« fragte sie.
Der Digger starrte sie verblüfft an. »Was heißt ehrlich?« fragte er zurück.
»Du betrügst mich nicht?«
»Ich würde das nie wagen, Dalagáng …«
»Leg deine Hand auf die Bibel.«
»Ich bin ehrlich!«
»Leg die Hand drauf … oder du bist ein Betrüger!«
Der Goldgräber zögerte. Er preßte die Hand auf die Bibel und zog sie sofort wieder zurück, als habe er sich verbrannt. Über Belisas Gesicht zog ein schiefes Lächeln.
»Jetzt hast du nicht mich betrogen, sondern Gott.« Sie begann, das Gold abzuwiegen, trug die Grammzahl in das Buch ein und schüttete die Ausbeute in das Säckchen zurück. Sie ließ es in einen Holzeimer fallen, der neben ihr auf der Erde stand. »Überlege dir, ob du so ein Leben weiterführen willst.«
»Ich habe …«, stotterte
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