Dschungel-Gold
»Zünden wir die Kerzen an.«
»Das übernehme ich.« Pedro fingerte in seiner Hosentasche nach seinem Feuerzeug und ging hinaus.
»Und den Weihrauch schwenke ich!« sagte Carlos.
»Wir können das, Pater.« Miguel zog sein Hemd etwas aus der Hose, es war schon jetzt durchgeschwitzt. Die Sonne warf Glut über die Hüttenstadt. »Wir waren als Kinder alle einmal Meßdiener.«
Kurz vor elf Uhr legte Pater Burgos seine Stola um und machte sich bereit, hinaus an seinen Altar zu treten. Der Platz war leer, nur drei Hunde schnupperten herum und schielten zu den brennenden Kerzen hinauf. Aber dann geschah das, was Burgos später einen Strahl des Heiligen Geistes nannte.
Von drei Seiten rückten sie heran. Drei geballte Kolonnen quollen aus den Gassen, marschierten wie nach einem unhörbaren Kommando auf das Lazarett zu, schlossen sich auf dem Platz zusammen, bildeten eine kompakte Masse von Leibern und schoben sich bis auf drei Meter an den Altar heran. Dort blieben sie stehen – Hunderte Menschen, die meisten sauber gewaschen, braun glänzende Körper in ärmellosen Unterhemden, eine wogende Masse von Köpfen, die ihre Blicke auf den Pater hefteten. Ein Trupp verdreckter Gestalten hatte sich am rechten Rand der Menschenmenge aufgebaut, mit Steinstaub überpudert, der durch den Schweiß als feste Schicht an ihren Körpern klebte.
Von den Stollen waren sie gekommen, für diese eine Stunde. Auch am Sonntag ging die Arbeit weiter, dröhnten die Preßlufthämmer, rüttelten die Waschsiebe. Jeder war sein eigener Herr, keiner sagte ihnen, wann sie arbeiten mußten. Es gab ja keinen Stundenlohn. Es gab nur Säcke. Ein Sonntag war ein Tag wie jeder andere. Das Gold schlief nicht. Das Gold wollte das Licht des Tages sehen. Das Gold war Leben.
Welch ein Luxus, für eine Stunde die Säcke zu vergessen.
Welch ein Opfer, auf diese Pesos zu verzichten.
Ein Opfer, das einen Millionär beschämen konnte.
Gerührt blickte Pater Burgos auf die schweigende Menge. Er sah, daß einige Männer sogar ein Kreuz in den Händen hielten. Ein selbstgebasteltes Kreuz aus einfachen Holzlatten. Zusammengehalten mit rostigen Nägeln.
»Ich danke euch!« sagte er. Das Zittern in seiner Stimme verriet, wie erschüttert er war. »Ihr seid gekommen, Gott wieder zu suchen. Ich bringe ihn euch. Lasset uns beten.«
Es war der schönste Gottesdienst, der wohl jemals gehalten wurde. Als Pater Burgos die Hostie zu Christi Leib und den Wein zu Christi Blut wandelte, kniete die Menge nieder in Staub und Dreck, senkten sich die Köpfe, dampfte der Schweiß aus den Körpern.
So plötzlich, wie die Menschen gekommen waren, so schnell leerte sich der Platz nach dem Amen. Miguel, der Meßdiener, wischte sich über die Augen, Carlos, der Weihrauchschwenker, löschte das Kraut. Pedro blies die Kerzen aus. Belisa stand noch mit gefalteten Händen an der Hauswand.
Dr. Falke trat an den Altar, wo Burgos die alte Bibel in einen Karton legte.
»Sie haben mich überzeugt, Pater«, sagte er.
»Sie mich auch, Doktor.«
»Das müssen Sie mir erklären.«
»Sie haben eine gute Stimme. Fast einen Heldentenor.«
»Das ist auch das einzig Heldische an mir. Ich habe in dieser Stunde etwas gelernt: Jeder Mensch besteht aus zwei Teilen. Er kann morden und gleichzeitig Gott loben.«
»Das haben Sie aber spät entdeckt, Doktor.« Burgos klemmte sein Kruzifix unter den Arm. »Wissen Sie nicht, daß Mafiosi zu den gläubigsten Menschen gehören? Sie stiften sogar Kirchen, bezahlt mit Prostitution, Rauschgift und Erpressung. Mit der Schöpfung des Menschen hat Gott auch das größte Rätsel erschaffen. Wir werden es nie lösen.«
Wie wahr.
An diesem Sonntag geschahen in Diwata drei Morde.
Pater Burgos eilte von Tatort zu Tatort, um die Toten zu segnen.
Es stimmte schon: Ein Sonntag war ein ganz normaler Tag.
Die Fähigkeit, schnelle Entschlüsse zu fassen, gehörte zu den herausragenden Eigenschaften Belisa Garcías. Sie war immer für Überraschungen gut.
So traute Morales seinen Augen nicht, als er Belisa im Bordell empfangen mußte. Sie kam in Begleitung ihrer drei Brüder, drängte sich an der Schlange der Aufgeladenen vorbei ins Haus und verursachte drinnen eine quietschende Unruhe. Die nackten Huren starrten sie fassungslos an. Morales stürzte auf Belisa zu und zog sie in seine Wohnung. Die drei Brüder grinsten breit. »Blendet dich der Titten Glanz – hole einfach raus den Schwanz!« brüllte Carlos. Miguel und Pedro drängten ihn in Morales'
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